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"Kirchenfern, nicht evangeliumsfern"

Anlässlich von 50 Jahren Theologie in Erfurt: Studientage zur Glaubenssituation der Ostdeutschen

Auf der Suche nach der angemessenen Weise, von Gott zu reden: Der Theologe Metz, der Erfurter Philosoph Tiefensee und Bischof Wanke im Gespräch.

Erfurt (ep) -"Von Gott schweigen -von Gott reden". Unter dieses Thema waren am 22. und 23. Mai zwei Studientage im Rahmen der Feier zum 50-jährigen Bestehen des Erfurter Priesterseminars und der Theologischen Fakultät Erfurt, früher Philosophisch- Theologisches Studium, gestellt. Dabei sollte es um "Perspektiven der Theologie in einer postkommunistischen Kultur" à la junge Bundesländer gehen. Das Interesse war groß, rund 200 Priester, Laientheologen, Religionslehrer und Studenten nahmen daran teil. Und mit dem Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner, dem Münsteraner Fundamentaltheologen und Religionsphilosophen Johann Baptist Metz, aber auch mit dem Frankfurter Religionssoziologen Detlef Pollack, der Leipziger Theologin Gunda Schneider und nicht zuletzt mit dem Erfurter Bischof Joachim Wanke war ein gewichtiges Team von Referenten gewonnen worden.

Statistisch gesehen: Der Gottesglaube schwindet

Hinsichtlich des Gottesglaubens ist in den nachkommunistischen jungen Bundesländern und in Tschechien auch zwölf Jahre nach der Wende wenig neues Interesse am christlichen Glauben, aber auch an Religion überhaupt festzustellen. Darin waren sich Religionssoziologe Pollack und Pastoraltheologe Zulehner aufgrund ihrer Untersuchungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern einig. Detlef Pollack: Sehr viele Menschen kommen ohne Religion aus, beantworten dennoch die Frage nach dem Sinn. Bei einigen wenigen gebe es ein neues Interesse an Gott, aber sie gleichen den Glaubensabbruch vieler anderer nicht aus.

Die Leipziger evangelische Theologieprofessorin Schneider beklagte eine andauernde Krise der evangelischen Kirchen in den jungen Ländern, die es durchzustehen und dabei zu bewältigen gelte, was aber nicht einfach sei. Manche in der evangelischen Kirche hätten in der Wende gehofft, mit dem Niedergang des Kommunismus werde der christliche Glaube neu erwachen, was ein Irrtum gewesen sei.

Paul Michael Zulehner unterscheidet zwischen atheisierenden, atheistisch und vollatheistisch eingestellten Menschen und stellt ein gestuftes Interesse dieser an religiösen Fragen fest. Angesichts der Situation hält er etwa die Vernetzung der Glaubensgemeinschaften, die Betonung der personalen Dimension des Glaubens, gesellschaftliche Präsens und eine zeitgemäße Verkündigung für dringend erforderlich.

Im Mitleiden von Gottes Lebenszusage künden

Johann Baptist Metz sieht in einer Kirche, die mitleidet (Compassion) mit der Angst, der Not, dem Leid der Menschen die entscheidende Art und Weise, dem Auftrag des Evangeliums gerecht zu werden. "Die Empfindlichkeit für das Leid der anderen charakterisiert die neue Lebensart Jesu", so Metz. "Jesu erster Blick galt immer dem Leid der anderen und nicht der Sünde, was nicht das Vergessen von Schuld meint." Seit frühester Zeit sei in der Kirche "die Frage nach Gerechtigkeit für die unschuldig Leidenden durch die Frage der Erlösung für die Schuldigen relativiert" worden, das Leid der Menschen in Gottes guter Schöpfung als schmerzlicher Frage ins Hintertreffen gelangt, so Metz. In der modernen Gesellschaft gelte es "eine Autorität unbedingt zu achten, die der Leidenden". "Gottesleidenschaft als Mitleidenschaft" ist deshalb "Angebot und Auftrag". Christen haben den ohnmächtigen, unschuldig Leidenden -und Leid kann auch darin bestehen, nicht mehr lieben und mitleiden zu können -zuzusagen: "Gott ist der Gott aller Menschen". Er will all ihr Leid in Lebensfülle verwandeln. Den Menschen dies zu vermitteln etwa in einer Stadt Erfurt, die um ermordete Lehrer trauerte und in der an die Hundertausend Menschen zu einem Gottesdienst zusammen kamen.

Nichtchristen haben Erwartungen an die Kirche

Bei dieser Erfahrung von Erfurt setzte Bischof Wanke an und wies auf einen damit verbundenen "bemerkenswerten Vorgang" hin: Eine weithin dem christlichen Gottesglauben entfremdete Bevölkerung richtet "sicherlich sehr diffuse", aber doch Erwartungen etwa folgender Zielrichtung an die Kirchen: "Liebe Christen, lasst uns etwas sehen von dem, was ihr in dürren Worten und merkwürdigen Zeremonien in euren Kirchen beschwört, gebt uns Anteil an einem Geheimnis, einer Hoffnung, einer Sehnsucht jenseits der Dinge, die wir tagtäglich als letzte Erfüllung präsentiert bekommen." Wanke: "Ich wage zu sagen: Auf der Talsohle einer radikalen Entchristlichung in der Breite der Gesellschaft erwacht ein neues Suchen nach dem Gottesgeheimnis." Die Kirche müsse sich dem stellen. Wanke: "Wir werden diesem Anspruch noch längst nicht gerecht." Das sei Aufgabe aller Theologen zwischen Werra und Oder, Rhein und Isar. Der Theologiestandort Erfurt habe hier "angesichts der kirchenfernen, aber wohl nicht evangeliumsfernen Massen" seine Aufgabe und zwar "zusammen mit allen Mitchristen aus der Ökumene".

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 22 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 30.05.2002

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