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Aus der Region

"Das glaubt uns bis heute keiner"

Zwangsaussiedlung in der ehemaligen DDR: Ausstellung in Marienborn

Bis heute kämpft sie um Anerkennung und Verständnis: In der Marienborner Ausstellung über Zwangsaussiedlungen durch das DDR-Regime erzählt Annegret Büttner ihre Geschichte.

Marienborn -"Als mein Bruder im April 1961 zur Heimatprimiz kommen wollte, bekam er erstmals keine Genehmigung. Ein halbes Jahr später wurden wir zwangsausgesiedelt." Annegret Büttner lebte damals mit ihrem Mann, ihren Eltern und der Großmutter in Schönau im Eichsfeld. Dem Historiker Rainer Potratz, der eine Ausstellung zum Thema Zwangsaussiedlung für die Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn fertiggestellt hat, erzählte sie ihre Geschichte. "Dieses Kapitel der deutschen Vergangenheit ist im Bewusstsein der Menschen kaum präsent", hat der Leiter der Gedenkstätte, Dr. Joachim Scherrieble, festgestellt. Und Annegret Büttner kann diese Erfahrung nur bestätigen: "Wir mussten schweigen, die Sache mit der Vertreibung glaubt uns bis heute keiner."

Die gesetzliche Grundlage für die Zwangsaussiedlungen aus der fünf Kilometer tiefen "Sperrzone" an der innerdeutschen Grenze wurde im April 1952 geschaffen. "Die Sowjets beschlossen damals, die Grenze zu sichern," so Potratz, Museumspädagoge der Gedenkstätte. Einem ersten Maßnahmeplan folgten kurz darauf genaue Angaben, darunter die Anweisung, als "unzuverlässig" definierte "Elemente" auszusiedeln.

Zurück zu Annegret Büttner: Ihr ältester Bruder hatte sich 1947 dem Orden der Oblaten angeschlossen, studierte im Kloster in Hünfeld (Rhön) Theologie und wurde 1961 zum Priester geweiht. Annegret Büttner selbst hielt sich 1955 für ein Jahr in einem Kloster in Borken / Westfalen auf und erlernte die Hauswirtschaft -ohne Genehmigung. Nach ihrer Rückkehr ins Elternhaus wurde sie bei der Staatssicherheit als Republikflüchtling geführt.

Am 3. Oktober 1961 wachte die Familie um 5.30 Uhr durch den Lärm von Lastwagen vor dem Haus auf. Punkt 6 Uhr schlugen Männer an die Haustür, schrien "Sofort aufmachen!". "Während sie etwas von ‚das Anwesen verlassen müssen' vorlasen, riss der Rest der Meute alles wahllos aus den Schränken," erinnert sich Annegret Büttner. In den nächsten Stunden, während der jeder ihrer Schritte überwacht wurde, realisierte sie, dass die Familie nicht nur weggebracht, sondern auch auseinander gerissen werden würde.

3200 Menschen wurden alleine an diesem Tag zwangsausgesiedelt. Zwischen dem 29. Mai und dem 6. Juni 1952 waren bereits 8300 Personen betroffen. Bis ins Jahr 1987 dauerten die Zwangsaussiedlungen an, wenn auch in kleinerem Rahmen als zu Beginn. "Die Frage nach dem ‚Warum' beschäftigt die Betroffenen oft jahrelang, letztlich suchen alle den Fehler bei sich selbst", sagt Scherrieble. Ein Grund wurde den Vertriebenen damals nicht genannt. Sie würden zu ihrer eigenen Sicherheit weggebracht, hieß es.

Annegret Büttner kämpfte nach der Wende um die Rückgabe des Anwesens ihrer Eltern, einen Bauernhof mit Gaststätte. Nach etlichen Jahren erhielt sie es zurück: baufällig und mit Schulden belastet. "Das wird nichts mehr mit dem Haus", sagt sie resigniert und betrachtet dies "als späte Rache alter Stasi-Seilschaften".

Beate Ziehres

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 27.06.2002

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