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Quote contra Menschenwürde

Diskussion um Ethik im Fernsehen

Dresden (tg) - Mit den Einschaltquoten jedenfalls konnte der private Fernsehsender RTL II nach dem Start seiner Container-Show "Big Brother" im vergangenen Jahr zufrieden sein: Rund 57 Millionen Bundesbürger sahen die Sendung mindestens ein Mal. Ein Erfolg auch die Werbeeinnahmen: Beim Start sollen 30 Sekunden Werbung 25 000 Mark gekostet haben, Wochen später bereits 32 000 Mark. RTL II nahm 50 Millionen Mark ein und gab 35 Millionen für die Produktion aus. Heiligt der Zweck Quote und damit Gewinn alle Mittel, auch das, junge Menschen, wenn auch freiwillig, für 100 Tage in einen Container zu pferchen und dabei rund um die Uhr von 28 Kameras beobachten zu lassen? Diese Frage stellte das Kathedralforum Dresden unter dem Titel "Menschenwürde - Medienbürde?" in den Mittelpunkt einer Diskussion.

Klare Antwort von RTL II-Geschäftsführer und Chefredakteur Josef Andorfer: "Big Brother" habe niemandes Menschenwürde verletzt. Denn: "Jeder Einzelne kann seine Würde, also seinen inneren Wert nur selbst bestimmen." Die Teilnahme an "Big Brother" sei jedem freigestellt. Kritik und Empörung über die Realitäts-Fernsehsendung wies er als Anmaßung "moralisch aufgeputzter Politiker" und "feuilletonistisch kostümierter Zensoren" zurück. Die Würde individueller Selbstbestimmung sei in der Debatte um die Sendung durch einen "kollektivistischen Würde-Begriff" ersetzt worden, bestimmt durch "irgendwelche Politiker, die sich darum kümmern, andere Mitmenschen von draußen her fremdzubestimmen und zu ihrem vermeintlichen Glück zu verhelfen". Dann fuhr er argumentativ schwerstes Geschütz auf: "Wir kennen das aus Diktaturen."

Andorfer: "Der Abend war immer und überall das Elysium der Ablenkung, des Amüsements, der Lockerung, des Relaxens, des Spaßes, um damit die am Tage verausgabten Kräfte zu regenerieren." Sein Fazit: "Der Zuschauer ist König." Mithin: "Die Quote ist die Qualität."

Das Streben nach der Quote allein, da stimmte ihm der Jurist Christoph Degenhardt zu, greife die Menschenwürde nicht an. Auch wenn das hohe Gut von Kritikern der TV-Container-Show inflationär beschworen wurde - "der Begriff Menschenwürde liegt höher als Geschmacklosigkeit". Juristen definierten es so: Die Menschenwürde werde da verletzt, wo der Einzelne zum Objekt fremden Handelns gemacht werde und dies nicht durchschauen könne.

In dieser Hinsicht meldete Degenhardt Bedenken an: Alle Spielregeln seien den Teilnehmern offenbar nicht bekannt gewesen, die Mobbing-Situation etwa, die die Außenwelt herbeiführte. "Das relativiert die Einwilligung der Beteiligten."

Wenn Menschen vorgeführt, lächerlich gemacht werden und das nicht durchschauen, dann sehe er eine Verletzung der Menschenwürde, so Degenhardt. Das zu bestimmen, und hier widersprach er Andorfer, könne nicht allein dem Einzelnen überlassen bleiben. Hier gehe es auch um objektive menschliche Grundrechte, darum, welches Bild vom Menschen in einem Medium verbreitet werde, und um den Schutz vor ausschließlicher Kommerzialisierung. "Die Durchsetzung gewisser sittlicher Wertvorstellungen auch gegen den Willen Beteiligter kann Aufgabe einer Medienpolizei sein."

Mit ihrem 58-tägigen Aufenthalt im "Big-Brother"-Container habe sie keine größeren Probleme gehabt, erzählte die 31-jährige Hanka Rackwitz. "Gebracht hat es mir eine große Portion Selbstbewusstsein, mehr Selbsterkenntnis, mein Leben ist jetzt facettenreicher, ich lebe bewusster, fühle mich stärker." Die Container-Show rege als ein Spiegel der Gesellschaft auch zum Nachdenken und Diskutieren an. "Das ist doch gut."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.05.2001

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