"Ich habe euch Freunde genannt"
Achtung vor der Einmaligkeit und Freiheit des anderen ist die Basis der Freundschaft
Auch Jesus hat den hohen Wert der Freundschaft geschätzt und hatte selbst Freunde, beispielsweise Lazarus, Maria Magdalena und seine Jünger, die er ausdrücklich Freunde nennt: "Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe" (Joh 15, 15). Über Freundschaft ist viel Gutes und Schönes geschrieben worden Die Weisheitsliteratur des Alten Testaments ist voll des Lobes der Freundschaft: "Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt; wer einen solchen findet, hat einen Schatz gefunden. Für einen treuen Freund gibt es keinen Preis, nichts wiegt seinen Wert auf" (Sir 6,14-15).
Den Freund teilnehmen lassen an meinen Ängsten und Hoffnungen
Auch Thomas von Aquin hat sich an mehreren Stellen seines Werkes Gedanken über die Freundschaft gemacht. Ihrem Wesen nach ist Freundschaft Liebe, genauer Wohlgefallen zweier Personen aneinander. Durch immer tieferes Kennenlernen, durch das Entdecken von gleichen Interessen und Zielen wächst die Beziehung der Freundschaft. Wie bei jeder Liebe, sind Achtung vor der Einmaligkeit und Freiheit des anderen, gegenseitiges Vertrauen und Treue die Grundlagen der Freundschaft. Der Mensch öffnet sich dem Freund und lässt ihn teilnehmen an seinen Freuden und Leiden, Ängsten und Hoffnungen, Erfolgen und Versagen. Freundschaft lebt von Kommunikation: Man teilt sich gegenseitig mit. So auch Jesus: "Ich habe euch alles mitgeteilt ..." Er lässt seine Freunde nicht im Ungewissen darüber, wie es ihnen in seiner Nachfolger gehen wird: "Euch aber, meinen Freunden sage ich ..." Mk12,4).
Durch Jesus und in ihm können wir unser Verhältnis zu Gott als Freundschaft bezeichnen. Er liebt uns und schätzt uns und lässt uns unsere Freiheit und unser Anderssein. Unter den großen Heiligen hat besonders Teresa von Avila ihr Verhältnis zu Gott als Freundschaft beschrieben. Beten ist für sie das Verweilen bei einem Freund: "Mit ihm kann ich reden wie mit einem Freund, obwohl er doch der Herr ist."
Angenommen und bejaht zu sein mit allen Eigenarten und Schwächen, ohne Masken dem Freund zu begegnen, das gilt auch für unser Verhältnis zu Jesus und Gott: "Zu dir kann ich kommen, ohne eine Uniform anziehen oder einen Koran hersagen zu müssen; kein Stück meiner inneren Heimat brauche ich preiszugeben. In deiner Nähe habe ich mich nicht zu entschuldigen, nicht zu verteidigen, brauche ich nichts zu beweisen. Über meine ungeschickten Worte, über die Urteile hinweg, die mich irreführen können, siehst du in mir einfach den Menschen ... Ich weiß dir Dank dafür, dass du mich so hinnimmst, wie ich bin" (A. de Saint-Exupéry).
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.07.2002