Da heißt es einfach: Cool bleiben
Die Leipziger Bahnhofsmission gehört zum gewohnten Bild des modernen Reisens

Leipzig -"Bahnhofsmission, was ist das?" oder "Ach, die Bahnhofsmission gibt's noch?" Bemerkungen wie diese hört Christine Sage, Leiterin der Ökumenischen Bahnhofsmission in Leipzig, öfters bei ihrer Arbeit an den Gleisen. Sie reagiert gelassen darauf und spricht die Fragenden an. Meist sind diese überrascht darüber, dass ihre Bemerkungen wahrgenommen wurden. Sie überreicht ihnen eine Visitenkarte und erklärt ihnen die Arbeit der Bahnhofsmission. Wie zu Gründungszeiten der ersten Leipziger Bahnhofsmission vor mehr als 100 Jahren haben sich die Aufgaben nicht wesentlich verändert. Der Dienst am Reisenden steht im Vordergrund: Ihn zu den richtigen Gleisen zu führen, beim Gepäcktragen zu helfen oder ihn bis zur Straßenbahn zu begleiten. Neben der direkten Hilfe am Bahnsteig bietet die Mission in ihren Räumen zudem Beratungsgespräche, Verpflegung in Notsituationen und Vermittlung an Einrichtungen an. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn ist ein ergänzender Dienst am Reisenden möglich. 1993 stellte die Bahn zur Wiedereröffnung der Bahnhofsmission die Räume im Leipziger Bahnhof zur Verfügung.
Die tägliche Arbeit von Frau Sage und ihrem Team -sechs Mitarbeiter und zirka 25 ehrenamtliche Helfer -beginnt morgens um acht Uhr mit einer Besprechung und einer kleinen Andacht. Der Tagesleiter teilt anschließend die Arbeit auf. Jeweils zwei Mitarbeiter sind im Bahnhof unterwegs, zwei weitere bleiben in der Einrichtung. In blaue Jacken gekleidet, gehen die Mitarbeiter der Bahnhofsmission zu den Bahnsteigen. Sie warten auf ankommende Züge und beobachten mit gezielten Blicken, ob ein Reisender Hilfe benötigt. Von Hemmungen ist dabei keine Rede. Einige Reisende glauben jedoch, es sei keine ernst gemeinte Hilfestellung, aber letztlich sind sie froh über die Unterstützung. Beim Rundgang durch den Bahnhof führen die Frauen und Männer der Bahnhofsmission ein Funkgerät bei sich. Sie stehen in Verbindung zur Servicezentrale der Deutschen Bahn. Der Kontakt zu den Mitarbeitern der Bahn ist partnerschaftlich. "Das Zugpersonal aus den alten Bundesländern begrüßt uns immer, das Personal aus dem ostdeutschen Raum eher selten" berichtet der Missionsmitarbeiter Werner David. Das sei verständlich, da das Personal aus den neuen Bundesländern die Bahnhofsmission meist immer noch nicht kennt. 1956 verbot die DDR die Einrichtung.
Um die Mittagszeit herrscht bei den Mitarbeitern in Leipzig "Hochkonjunktur". Jeden Tag um 12.11 Uhr reisen Aussiedler an. "Mitteilungen über deren Anzahl und darüber, ob sie nur umsteigen oder in Leipzig bleiben, erhalten wir von der Bahnhofsmission in Halle", sagt die ehrenamtliche Helferin Helga Rebbelmund. Die Aussiedler kommen in Friedland (Norddeutschland) an und werden entsprechend an die nächsten Bahnhofsmissionen weitergeleitet. Helga Rebbelmund hat wie jeder andere Mitarbeiter die Anzahl der Aussiedler in ihrer Tagesstatistik einzutragen. In einer Liste werden die einzelnen Tätigkeiten dokumentiert. So werden die Kontakte zu den Reisenden gezählt und später statistisch ausgewertet. Für 2001 ermittelte die Bahnhofsmission 33 551 Kontakte. "Die Reisenden reagieren auf die Unterstützung dankbar -einige von ihnen fragen nach der Bezahlung", berichtet Werner David. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass vorbeigehende Leute lästern. "Da heißt es einfach cool bleiben", so David. Um 20.30 Uhr endet der Tag für die Mitarbeiter der Bahnhofsmission -und das ist nicht genug: Andachten, Friedensgebete und Bahnhofsgottesdienste werden zusätzlich organisiert.
Christine Jany
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 25.07.2002