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Bistum Magdeburg

"In Gottes Namen, wir gießen!"

Wie in der Kunstgießerei Lauchhammer Kirchenglocken entstehen

Brodelnd und zischend: Aus dem Schmelzofen wälzt sich die Schmelze durch den Gussgang zur Glockenform.

Lauchhammer -Gespannte Aufmerksamkeit ist spürbar, als die Besucher aus Leipzig die Gießhalle betreten. Kein unnützes Wort wird gesprochen. Die Gießer stehen auf der Glockengrube an den Gussgängen. Die Plasteschilde an ihren Helmen sind heruntergeklappt. Gerhard Wiesner, technischer Leiter der Kunstgießerei Lauchhammer, lässt noch einmal die Temperatur der Schmelze prüfen. Ein Arbeiter steigt mit einem etwa zwei Meter langen Rohr -dem Thermometer -hinauf zum Ofen "1161 Grad", antwortet er. Wiesner nickt und gibt das Startsignal: "Bitte, Herr Pfarrer!"
Die Gießer nehmen die Helme ab und Pfarrer Johannes Ulbricht spricht das Weihegebet über die fünf Glocken, die für die evangelische Kirche in der zu Leipzig gehörenden Gemarkung Hirschfeld gegossen werden sollen: "Vater, hilf, dass diese Glocken dein Lob verkünden! Dass sie deine Gemeinde zum Gottesdienst und zum Gebet rufen. Wir bitten dich, lass diese Glocken die Menschen zum Frieden mahnen. Hilf, dass sie die Trauernden trösten, die Mutlosen aufrichten, die Verstorbenen auf ihrem Weg begleiten. Herr, segne alle, die ihren Ruf hören." Die Helme werden wieder aufgesetzt. "In Gottes Namen, wir gießen!", sagt Johannes Remenz, Verkaufsleiter und Glockensachverständiger.

Feine Rauchschwaden durchziehen die Halle

Der Motor, der den rund vier Quadratmeter großen Schmelzofen ankippt, brummt leise auf. 1400 Kilogramm flüssiger Bronze wälzen sich über eine Rinne in die Gussgänge auf der Glockengrube. In der Öffnung für die erste Glockenform verschwindet der heiße Strom. Ein Gurgeln und Zischen ist zu hören, feine Rauchschwaden durchziehen die Halle.

Konzentriert beobachten die Glockengießer in ihren Lederschürzen und den vom Oberschenkel bis über die Schuhe reichenden Ledergamaschen den Vorgang. Unter ihren Füßen spüren sie das Rumoren, wenn die Schmelze -ein Gemisch aus 78 Teilen Kupfer und 22 Teilen Zinn -durch die Glockenkrone in die Form läuft und sie langsam füllt.

Dann gibt Wiesner das Kommando: "Ziehen!" Mit langer Zange öffnet ein Arbeiter das Ende des Gussganges. Die Schmelze fließt weiter zur Öffnung für die nächste Glocke. Zwischendurch werden mit einer langen Kelle die Schlacke und die zu schnell erkaltete Bronze aus dem Kanal geschöpft. Noch dreimal ertönt das Kommando "Ziehen!", um die Schmelze zur nächsten Glocke weiterzuleiten. Sonst fällt kein Wort. Jeder Handgriff sitzt.

Der Gussvorgang selbst dauert nur 15 Minuten

Nachdem die letzte Form gefüllt, der Ofen leer, der Bronzefluss versiegt ist, fällt die Spannung ab. Die Männer nehmen die Helme ab, wischen sich den Schweiß von der Stirn. Der Guss selbst, der Höhepunkt penibler, schwerer Handarbeit von mehr als einer Woche, dauert nur etwa zwölf bis 15 Minuten. Ob er mit Erfolg gekrönt ist, erahnen die Männer. Wissen werden sie es aber erst in zwei bis drei Tagen, wenn die erkalteten Lehmformen ausgegraben und zerschlagen werden. Sollte der vorberechnete Ton einmal nicht richtig getroffen werden -was bei kleinen Glocken immer wieder einmal vorkommt -wird die Glocke im Inneren von Hand beschliffen.

Von alters her werden Glocken immer an einem Freitagnachmittag gegossen, zur Todesstunde Christi -eine Tradition, die auch sehr gut in die moderne, verweltlichte Zeit passt, denn: Über das arbeitsfreie Wochenende kann die Bronze langsam abkühlen.

Die erste nachweisbar in Lauchhammer gegossene Glocke stammt aus dem Jahr 1834, eine Eisenglocke, die bis 1995 im Dachreiter des Verwaltungsgebäudes des Lauchhammerwerkes hing. Die älteste noch vorhandene Glocke aus Lauchhammer ist von 1852 und hängt in der evangelischen Kirche in Schwarzheide Ost. Zwischen den beiden Weltkriegen wurden in Lauchhammer um die 500 Bronzeglocken gegossen. Nach Kriegsende wurde der Glockenguss nicht wieder aufgenommen.

Glocken für Indonesien, Chile und Tansania

Erst seit der Privatisierung der Gießerei nach der Wende entstehen in Lauchhammer wieder Glocken. Die erste wurde für die evangelische Kirche in Dübr../../inchen bei Doberlug-Kirchhain gegossen, kurz danach die drei kleinen Glöckchen für die Gläserne Kirche zur Bundesgartenschau 1995 in Cottbus. Inzwischen sind es bereits mehr als 280 Glocken. Sie künden nicht nur in Deutschland, sondern auch in Indonesien, Frankreich, Chile und Tansania von der über 1000 Jahre alten Handwerkskunst des Glockengusses.

Klaus Schirmer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 25.07.2002

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