Die "rote Laterne" der Bundesrepublik
Diskussion mit Parteienvertretern über wirschaftliche Lage Sachsen-Anhalts
Magdeburg (mh) - Mit 21,5 Prozent hat Sachsen-Anhalt die bundesweit höchste Arbeitslosenquote. Unter den Spitzenreitern ist es ebenfalls, wenn es um die Zahl der Firmen geht, die Insolvenz beantragen müssen. Mit einem Wirtschaftswachstum von nur 0,6 Prozent steht das Bundesland allerdings am Ende der Statistik. Sachsen-Anhalt hat - zumindest was die wirtschaftliche Lage betrifft - bundesweit die "rote Laterne" übernommen. "Wie lange noch?" - diese Frage hat sich der Katholikenrat des Bistums Magdeburg gestellt und zu einem Gesprächsabend über die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Lage im Land Vertreter der großen Parteien ins Magdeburger Roncalli-Haus eingeladen.
Als Ursache der gegenwärtigen Situation bezeichnete Prof. Dr. Karl-Heinz Paque, stellvertretender FDP-Landesvorsitzender und Wirtschaftswissenschaftler an der Magdeburger Universität, das Fehlen von Forschungseinrichtungen. Neue industrielle Kerne könnten nur rund um solche innovativen Zentren entstehen. Ihm hielt Sabine Dierlich, PDS-Landtagsabgeordnete, entgegen: Beides - industrielle Kerne und Forschungseinrichtungen - sei im Zuge der Deutschen Einheit in Sachsen-Anhalt zerstört worden. Als Ursache für die wirtschaftlichen Misere machte sie vor allem die Auseinanderentwicklung von Ost- und Westdeutschland aus. Die zwischen Ost und West klaffende Einkommensschere mache die Entwicklung einer modernen Dienstleistungsgesellschaft in Sachsen-Anhalt unmöglich. Aufgrund der Finanzschwäche der Privathaushalte und der Kommunen fehle die notwendige Nachfrage für Dienstleistungen.
Auf fehlende 40 000 mittelständige Unternehmen verwies Dr. Werner Sobetzko (CDU-Landtagsabgeordneter). Und Reiner Eckel für die SPD im Landtag betonte, dass entsprechende Investitionen keine positiven Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt zeigten, und bedauerte die geringe Ausbildungsneigung der Betriebe.
Während sich bei der Analyse der Ursachen unter den Vertretern der verschiedenen Parteien noch eine gewisse Einigkeit feststellen ließ, kam bei der Diskussion der Frage, was künftig getan werden müsse, Wahlkampfatmosphäre auf. Unbestritten war die Notwendigkeit des Abbaus der Verschuldung des Landes. Einsparungen von 300 bis 500 Millionen Mark jährlich seien nötig, um den Haushalt bis zum Jahr 2005 zu konsolidieren. "Wo aber sollen wir Prioritäten setzen?", fragte Dierlich (PDS). Jeder verlange Konsolidierung, schimpfe dann aber, wenn Einsparungen ihn selbst betreffen. In diesem Zusammenhang richtete sie an die Kirchen den Wunsch, gemeinsam mit den politisch Verantwortlichen über entsprechende Prioritäten nachzudenken, diese dann aber auch gemeinsam durchzutragen. FDP-Vertreter Paque warf Dierlich vor, dass gerade ihre Partei, die PDS, jede Haushaltskonsolidierung unmöglich mache. Die Einführung von Schulen mit festen Öffnungszeiten und des 13. Schuljahres bezeichnete er - aufgrund der entstehenden Kosten - als Schritte in die falsche Richtung.
Deutlich unterschiedliche Auffassungen gab es auch in Bezug auf den zweiten Arbeitsmarkt, Stichwort: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Werden mittelständische Unternehmen kaputt gemacht, wenn bestimmte Aufträge durch ABM erledigt werden? Paque forderte die deutliche Reduzierung von ABM und Subventionen. Das Geld müsse in den innovativen Bereich, vor allem in Forschungseinrichtungen, umgelenkt werden. Auf den Einwand, dass das Ruhrgebiet aufgrund der Subventionierung des Steinkohlebergbaus eines der größten ABM-Gebiete Deutschlands sei, sagte er: "Man muss doch nicht alle Absurditäten des Westens übernehmen."
Dierlich unterstrich dagegen die Notwendigkeit des zweiten Arbeitsmarktes gerade unter den Bedingungen Ostdeutschlands. Nur so könne die soziale Infrastruktur aufrecht erhalten werden. Viele soziale Aufgaben können die Kommunen, aber auch zum Beispiel die Kirchen nur mit Hilfe von ABM erfüllen. "Ein Wegfall käme einer Katastrophe gleich."
Dritte Streitfrage des Abends schließlich: Führt das Modell einer von der PDS tolerierten SPD-Minderheitsregierung zu einem Imageproblem für Sachsen-Anhalt? Ist es schuld daran, dass Investoren ihr Geld lieber anderswo ausgeben? Sobetzko erinnerte an das Angebot einer "Sanierungskoalition", das seine Partei, die CDU, der SPD gemacht habe. Deren Ablehnung bezeichnete er als fast schon sträflich. Dierlich (PDS) übte dagegen Medienschelte: Das Imageproblem Sachsen-Anhalts komme zustande, "weil Tag für Tag in den Zeitungen zu lesen ist: Sachsen-Anhalt ist das Letzte". Das Modell einer tolerierten Minderheitenregierung sei in anderen Staaten nicht außergewöhnlich. In der Bundesrepublik aber gelte: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf."
Wer konkrete Antworten und Rezepte zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Sachsen-Anhalts erwartet hatte, war fehl am Platz bei dem Gesprächsabend des Katholikenrates. "Was Sie heute gesagt haben, dass haben wir auch schon 1997 gehört", stellte ein Teilnehmer dann auch fest. Wird sich eine solche Feststellung bei einem ähnlichen Gespräch in vier oder fünf Jahren wiederholen? Optimistisch stimmt zumindest die Bemerkung von Karl-Heinz Paque: Er sei optimistisch. Es habe noch nie eine Region in Deutschland gegeben, die nicht mit den entsprechenden Maßnahmen saniert werden konnte. "Sachen-Anhalt ist heute in einer ähnlichen Situation wie das Ruhrgebiet 1980."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.05.2001