Himmel und Hölle hier und jetzt
Gegenseitiges Verstehen, Verzeihen, Mitgefühl, Dankbarkeit, Liebe sind ein Vorgeschmack des Himmels

Die Rede von Himmel und Hölle als zukünftige "jenseitige" Realitäten trifft bei immer weniger Menschen auf Interesse. Umfragen zeigen, dass auch unter Christen der Glaube an die Vollendung sehr geschwächt ist. In früheren Zeiten erschütterten mit theatralischen Pathos vorgetragene Höllenpredigten die christlichen Zuhörer und riefen zur Umkehr auf. Andererseits war die Vorstellung der ewigen Seligkeit im Himmel für die Menschen Quelle des Trostes und der Kraft.
Warum stößt die Verkündigung der "Letzten Dinge" heute auf so geringes Interesse? Vielleicht liegt es auch daran, dass Himmel und Hölle zu sehr von unseren konkreten Situationen abgehoben, zu "jenseitig" dargestellt wurden. Um den heutigen Menschen anzusprechen und zu treffen, muss die Rede von Himmel und Erde geerdet werden: Was mit den beiden Vorstellungen gemeint ist, muss wenigstens anfänglich im Leben erfahrbar sein und erfahren werden. Eine Geschichte aus der Tradition des Zen-Buddhismus stellt das so dar: Ein großer, harter Samurai ging einmal einen kleinen Mönch besuchen. "Mönch", sagte er in einem Ton, der sofortigen Gehorsam gewohnt ist, "lehre mich etwas über Himmel und Hölle!" Der Mönch sah zu dem mächtigen Krieger auf und entgegnete voller Verachtung: "Dich etwas über Himmel und Hölle lehren? Überhaupt nichts könnte ich dich lehren. Du bist schmutzig. Du stinkst. Deine Klinge ist rostig. Du bist eine Scham und Schande für die Klasse der Samurai. Geh mir aus den Augen. Ich kann dich nicht ertragen." Der Samurai war wütend. Er zitterte, wurde rot im Gesicht, war sprachlos vor Wut. Er zog sein Schwert und hob es in die Höhe, um den Mönch damit zu erschlagen. "Das ist die Hölle", sagte der Mönch sanft. Der Samurai war überwältigt. Das Mitgefühl und die Ergebenheit dieses kleinen Mannes, der sein Leben hergab, um ihm diese Lehre zu geben und ihm die Hölle zu zeigen! Langsam senkte er sein Schwert, erfüllt von Dankbarkeit und plötzlichem Frieden. "Und das ist der Himmel", sagte der Mönch sanft.
Hier wird deutlich: Hölle auf Erden bedeutet Streit, Gewalt, Rache, Verletzung, Abbruch der Kommunikation. Wenn jemand einem anderen das Leben unerträglich macht, sagen wir: Er macht ihm das Leben zur Hölle. Die Informationen der Medien versorgen uns täglich überreich mit Bildern der Hölle hier und jetzt. Und was bedeutet der Himmel oder Vorgeschmack des Himmels? Gegenseitiges Verstehen, Verzeihen, Mitgefühl, Dankbarkeit, Liebe. Gott sei Dank ist auch dieser Himmel hier und jetzt erfahrbar und wird von den Menschen in irgendeiner Form erfahren! Oft auch mitten in Höllengeschehen. Meist sind es leise Töne -im Gegensatz zu den Erfahrungen von Hölle -, die den Himmel auf Erden zur Sprache bringen. Nach dem Johannes-Evangelium ist das ewige Leben, also der Himmel, durchaus Gegenwart: "Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben" (3,36).
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 25.07.2002