Einen hoffnungslosen Fall gibt es nicht
Im Erfurter Caritas-Suchthilfezentrum S 13 fand zum zweiten Mal der "Tag der Selbsthilfe" statt
Erfurt -Es ist ein Teufelskreis. Am Anfang führt das Suchtmittel zum Erfolg. Man fühlt sich erleichtert und entlastet. Aber der Griff zum Alkohol, zu Medikakamenten und anderen Drogen wird zum Strudel in die Abhängigkeit, in die Depression, den Verlust sozialer Bindungen.
Für die Caritas gehört die Betreuung von Suchtkranken zu einem Schwerpunkt der Sozialarbeit. Unter dem Motto "Miteinander reden und feiern" trafen sich Suchtkranke, Angehörige und Interessierte am 27. Juli zum Tag der Selbsthilfe im Erfurter Caritas-Suchthilfezentrum S 13. Ein buntes Programm empfing die Teilnehmer, so die Zirkusgeschichten des Künstler Klaus Michael Tkacz. Es gab viele Möglichkeiten zum Austausch und Gespräch. Der Tag der Selbsthilfe fand in diesem Jahr zum zweiten Mal statt.
Die Sucht in Deutschland nimmt zu. Das bestätigt die Nachsorgereferentin der Caritas im Bistum Erfurt, Juliana Kraus. Vor allem Jugendliche seien betroffen, und das in mehrfacher Hinsicht. Neben dem Alkoholkonsum sind es die besonders gefährlichen Partydrogen wie Ecstasy, die die jungen Leute gefährden. Die Ursachen für den zunehmenden Missbrauch mögen zum einen in der Perspektivlosigkeit vieler Menschen liegen, aber: Bis heute kann man nicht wirklich erklären, warum einer süchtig wird. Juliana Kraus: "Süchte lassen sich nicht auf ein bestimmtes Alter oder eine Gruppe festlegen. Alkoholismus zum Beispiel kommt in allen Gesellschaftsschichten vor, jeder kann betroffen sein." Nach Schätzungen der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) gibt es in Deutschland 3,5 Millionen behandlungsbedürftige Alkoholkranke, dabei doppelt so viel Männer als Frauen. Aber der Anteil der Frauen steigt seit Jahren an.
Davon, was Abhängigkeit bedeutet, kann Frank Hübner ein Lied singen. Der Grafikdesigner ist alkoholabhängig, aber seit zwöl Jahren trocken. Heute ist er Landesvorsitzender des Kreuzbundes in Thüringen, eines Selbsthilfeverbandes für Betroffene und deren Angehörige. Hübner hat erst selbst versucht, vom Alkohol loszukommen, seine Bemühungen blieben lange erfolglos. "Ich habe immer wieder die Kontrolle verloren", sagt er rückblickend.
Dann das Schlüsselerlebnis: Als er angetrunken nach Hause kam und seine Tochter umarmen wollte, stieß sie ihn von sich -dann sagte sie ihm, was sie von ihm und seiner Trunksucht hielt, detailliert und ohne zu beschönigen. Frank Hübner kam zur Einsicht und schloss sich einer Selbsthilfegruppe an, seitdem ist Schluss mit dem Alkohol. Seit Jahren hilft er auch anderen, von ihrer Sucht loszukommen. Frank Hübner betont, wie wichtig die Arbeit in einer Gruppe ist, denn dort merke man, dass man nicht allein sei. "Wenn der Alkohol mit dir macht, was du willst", sagt er den Neuen "ist alles in Ordnung, wenn er mit dir macht, was du nicht willst, hast du ein Problem."
Eine wahre Odyssee mit dem Alkohol haben Beate und Benno Bomm aus Arnstadt hinter sich. Sie haben sich 1993 kennen gelernt. Frau Bomm wusste um sein Problem, war aber überzeugt: "Mit Liebe schaffe ich es." Dann immer wieder Therapien und Rückfälle, Beate Bomm rieb sich auf -für ihren Mann, aber auch für andere Abhängige, mehr als ihr zuträglich war. Sie wurde nervlich krank und musste selbst behandelt werden. Benno ging wieder zur Entziehung -schließlich nahmen beide an einer Paar-Therapie teil, die schmerzlich war. "Aber wir haben viel über uns gelernt", sagt Beate Bomm heute. Ihr Mann ist seit fünf Jahren trocken. Manchmal aber hat sie doch noch Angst. "Dass sie mit dieser Angst klar kommen muss, habe ich auch erst gelernt", sagt Benno. Aber er meint, dass es keinen hoffnungslosen Fall gibt, man müsse lernen mit der Sucht zu leben. Beeindruckend: Beate und Benno Bomm können heute offen über das Problem sprechen, was nicht nur für sie, sondern vor allem für andere, denen es ähnlich geht, wichtig ist. Am Nachmittag dann ein Erfahrungsaustausch: Hier gab es die Gelegenheit auch über die Organisation in den Gruppen und den Verbänden zu sprechen. Eine bessere Zusammenarbeit, so sagen einige, zwischen Ehren- und Hauptamtlichen wäre wünschenswert.
Andreas Schuppert
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 02.08.2002