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Bistum Magdeburg

Trotz DDR war vieles möglich

37 Jahre im Dienst der Caritas: Hiltraud Kussmann

Ein Haus - offen für alle: Hiltraud und Wolfgang Kussmann haben nach der Wende aus dem Konrad-Martin-Haus eine Heimvolkshochschule gemacht.

Bad Kösen (mh) -"Eigentlich wollte ich Lehrerin werden", erzählt Hiltraud Kussmann. Dass sie stattdessen ihr berufliches Leben im kirchlich-karitativen Dienst verbracht hat, weil sie sich ihren Berufswunsch unter den damaligen politischen Bedingungen nicht erfüllen konnte, macht ihre Biografie typisch für eine ganze Reihe von Frauen und Männern, die sich in der DDR beruflich in der katholischen Kirche engagiert haben.

Wer unter DDR-Bedingungen versuchte, bewusst als Christ zu leben, dem lag mancher Stein im Weg und blieb manche Tür verschlossen. Das musste Hiltraud Kussmann schon in der Schule erfahren. Dass aus ihrer Klasse nur wenige zur Jugendweihe gingen, daran war natürlich die Katholikin Hiltraud Kussmann mitschuldig. Die Folge: Keine Zulassung zur Erweiterten Oberschule, damit kein Abitur und erst recht kein Pädagogik-Studium. Auch Kindergärtnerin konnte sie nicht werden. "Du kannst als Geflügelzüchterin arbeiten", hieß die polemische Reaktion auf ihren Alternativ-Berufswunsch.

Hiltraud Kussmann begann schließlich eine Ausbildung als Apothekenhelferin. Nebenbei engagierte sie sich in der Kinderund Jugendarbeit in ihrer Pfarrgemeinde in Sandersdorf. Hier hörte sie davon, dass die Kirche Erzieherinnen ausbildet. Diese Chance ergriff sie. Eine letzte Hürde musste sie nehmen: Der Kreisapotheker hatte eine Kündigungssperre ausgesprochen. Der Bezirksapotheker hob diese schließlich mit dem Kommentar auf: "Sie müssen selbst wissen, was für ihr Leben gut ist."

Es folgte die Ausbildung in Heiligenstadt und Michendorf. 1968 legte Hiltraud Kussmann das Examen ab und war Erzieherin im kirchlichen Dienst -ein Beruf, für den man sich bewusst entscheiden musste, nahm man doch manche Nachteile in Kauf: Neben der geringen Bezahlung war das vor allem die fehlende staatliche Anerkennung.

Gutes Miteinander und ein toller Freiraum

Ihre Tätigkeit begann Hiltraud Kussmann in fünf Gemeinden im Raum Magdeburg. Sie hielt Frohe Herrgottstunden und Religionsunterricht. Es folgte ein Jahr im Kinderheim Bitterfeld als Erzieherin. 1971 qualifizierte sie sich in Berlin zur Jugendleiterin und ging 1973 als Kindergartenleiterin nach Merseburg. Nur ein Jahr später wurde sie Diözesanjugendleiterin im Caritasverband für das damaligen Bischöflichen Amt Magdeburg. Für 20 Kindergärten, acht Kinderheime, zwei Horte und zwei Aspiranturen war sie verantwortlich. Personalentscheidungen und die fachliche Aufsicht und Beratung sowie die Fortbildung der Kindergärtnerinnen und Erzieher in kirchlichen Einrichtungen fielen in ihre Zuständigkeit. Die anfängliche Skepsis gegenüber dieser Tätigkeit war bald geschwunden: Zum einen wegen des guten Miteinanders in der Caritas -"Wir waren wenige und haben partnerschaftlich zusammengearbeitet." Zum anderen, weil sie einen "tollen Freiraum" erlebte: "Trotz der vom Staat gezogenen Grenzen hatten wir viele Möglichkeiten, etwas zu gestalten." Dass das gelang, dafür sprechen die Nichtchristen, die damals ihre Kinder in eine katholische Einrichtung geschickt haben. "Auch die Mitarbeiter der Jugendhilfe haben unsere Arbeit geschätzt. Mit ihren Sorgenkindern kamen sie häufig zu uns."

1987 begann Hiltraud Kussmann eine neue Aufgabe. Sie ging nach Bad Kösen, ins Konrad- Martin-Haus, damals ein Caritas-Erholungsheim. Hier war ihr Mann schon tätig -beschäftigt unter anderem mit der Errichtung eines Anbaus. Nach Behördenkämpfen und abenteuerlicher Materialbeschaffung wurde das Haus mit Hilfe einer Feierabendbrigade im November 1989 fertig. Zum selben Zeitpunkt fiel die Mauer und damit stellt sich die Frage: Wer wird jetzt noch nach Bad Kösen in ein Caritas-Erholungsheim kommen?

Die Kussmanns verzagten nicht. Sie besannen sich auf die Ursprünge des Hauses: Es war von 1947 bis zum Erwerb durch die Caritas 1978 Bildungshaus des Bistums, besonders verbunden mit dem Namen des späteren Erfurter Bischofs Hugo Aufderbeck. Als Freunde aus dem Westen feststellten, das Haus eigne sich ideal als Heimvolkshochschule, begann ein abenteuerlicher Weg, denn: Heimvolkshochschulen waren in Sachsen- Anhalt sowohl für Kirche und Caritas wie für das Land etwas Neues. Neben der Entwicklung inhaltlicher Angebote waren wieder Bauarbeiten nötig: Seminarräume entstanden, Gästezimmer wurden modernisiert, ein Aufzug angebaut. Im Dezember 1994 erhielt das Konrad-Martin- Haus als erste Heimvolkshochschule Sachsen-Anhalts die Anerkennung.

In den letzten Jahren wurde vor allem am Programmangebot weitergearbeitet. Heute ist der Jahresplan ein 60 Seiten starkes Heft mit zahlreichen Veranstaltungen vom Computerkurs über Einführung ins Steuerrecht bis zu Stillen Tagen in der Fastenzeit. "Wir wollen offen sein für alle und unsere Angebote so breit wie möglich fächern", sagt Hiltraud Kussmann.

Nach 37 Jahren Dienst in der Caritas ist Hiltraud Kussmann jetzt in den Ruhestand gegangen. Der Deutsche Caritasverband hat sie mit der Ehrennadel in Silber geehrt. Drei Dinge will Hiltraud Kussmann aus ihrem Erfahrungsschatz der Caritas mit auf den weiteren Weg geben: "Dass Caritas den Menschen dient, ohne gleich zu fragen, was es einbringt, dass sie dort hilft, wo andere es nicht tun, und dass sie zeigt, dass manches auch ein bisschen anders geht, als es heute in der Gesellschaft üblich ist."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 31 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 02.08.2002

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