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In den letzten Stunden da sein

Österreich gibt arbeitsfrei für Sterbebegleitung: Bald auch in Deutschland?

Hildesheim/Wien - Zugegeben, die Katholischen Männergemeinschaften im Bistum Hildesheim gehören nicht zu den großen Verbänden der Kirche. 2200 Mitglieder zählt die Gruppe. Mit einem Brief an alle Fraktionen des Bundestags jedoch haben sich die katholischen Männer jetzt Großes vorgenommen: Sie wollen die Politiker davon überzeugen, dass künftig in Deutschland jeder Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf arbeitsfreie Zeit erhält, um sterbende Verwandte zu begleiten. "Wenn es uns ernst damit ist, Sterbende bis zum Tod begleitet zu wissen, dann dürfen daraus niemandem berufliche Nachteile entstehen", heißt es im Brief. Sterbebegleitung in diesem Sinne ist für die katholischen Männer eine überzeugende Alternative zu den Formen aktiver Sterbehilfe. Regelungen zur Tötung auf Verlangen wie in den Niederlanden und Belgien lehnen sie als "gezielte Lebensverkürzung" ab.

Auf die Idee von der arbeitsfreien Zeit zur Sterbebegleitung hat den Verband ein Blick nach Österreich gebracht. Dort ist zum 1. Juli ein Gesetz in Kraft getreten, das die Möglichkeit zur sogenannten Familienhospizkarenz einführt. Maximal sechs Monate können Arbeitnehmer in Österreich der Arbeitsstelle fernbleiben, wenn ein Angehöriger im Sterben liegt - egal ob dies nun Vater, Mutter, Schwiegereltern, Ehegatten, Geschwister, Kinder, Enkel oder Urenkel sind. Die Beiträge an die Sozialkassen werden weitergezahlt. Der Job darf bis vier Wochen nach dieser Karenzzeit nicht gekündigt werden. Der gleiche Rechtsanspruch auf Freistellung gilt auch, wenn ein Kind schwerkrank ist, ohne dass gleich sein Tod zu befürchten ist.

Die politische Führung in Österreich ist mittlerweile mächtig stolz auf das neue Gesetz: "Wir haben mit der Familienhospizkarenz ein bewusstes Gegenmodell zur Kultur des Todes in Holland oder Belgien gesetzt", sagte kürzlich in Wien Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Mindestens ebenso wichtig ist die Tatsache, dass der Anstoß zu diesem Projekt aus der Hospizbewegung und aus der katholischen Kirche gekommen ist. Wiens Caritasdirektor Michael Landau und Alt-Kardinal Franz König hatten im Herbst 2001 zusammen einen entsprechenden Brief an die im österreichischen Parlament vertretenen Parteien geschickt. "So wie Eltern ein Recht haben, ihre Kinder in das Leben hineinzubegleiten, so sollen Kinder künftig ein Recht haben, ihre Eltern aus dem Leben hinauszubegleiten", begründete Landau diese Initiative. "Es geht um eine menschenwürdige Gestaltung der letzten Wegstrecke der Menschen", so der Kardinal.

Für die katholischen Männermeinschaften im Bistum Hildesheim ist klar: "Was jetzt in Österreich Gesetzeskraft hat, fordern wir für Deutschland auch!" Im Juni beriet zudem die Bundesdelegiertenversammlung des Katholischen Deutschen Frauenbundes das österreichische Modell. Ursula Aman, für den Frauenbund im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, kennt aus der eigenen Erfahrung in der Hospizarbeit die Sorgen der Betroffenen: "Die Trauernden leiden darunter , wenn sie in den letzten Tagen nicht bei den sterbenden Angehörigen sein konnten." Ursula Aman stellte das Modell der Familienhospizkarenz auf der Delegiertenversammlung vor: "Das können wir auch in Deutschland machen". Die Hospizarbeit habe gezeigt, so Aman, dass Menschen vor allem dann nach aktiver Sterbehilfe verlangten, wenn sie sich im Sterbeprozess nicht richtig begleitet fühlten. Warum dann nicht Angehörigen die Möglichkeit zur Begleitung geben? Beinahe unbemerkt ist hierzu in Deutschland bereits ein Anfang gemacht worden: Seit dem 1. August können sich Eltern von ihrer Arbeit frei machen und Krankengeld beziehen, wenn sie ein vom Tode bedrohtes Kind zu betreuen haben. Das teilte vergangene Woche das Bundesgesundheitsministerium in Berlin mit.

Bernhard Remmers

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 08.08.2002

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