Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Auf zwei Minuten

"Als ich wiederkam, war es leer"

von Pater Damian

Pater Damian Meyer Die Älteren unter uns haben alle die Erfahrung gemacht: "Das meiste ist nicht mehr so, wie es war!" Ein Allgemeinplatz, gewiss. Aber oft auch ein schmerzliches Erlebnis. Wer nach vielen Jahren in seinen Geburtsort oder zur Stätte seiner Kindheit zurückkehrt, findet vieles so verändert vor, dass er sich fremd vorkommt. Vielleicht steht sein Elternhaus nicht mehr, oder es wird von fremden Menschen bewohnt. Ein Großteil der Freunde und Bekannten sind inzwischen gestorben oder weggezogen. Den Platz des Wäldchens oder Parks, in dem man als Kind gespielt hatte, nimmt eine Neubausiedlung ein. ... Viele Menschen - die aus ihrer Heimat Vertriebenen - werden auch erleben, dass in ihrem Heimatort eine fremde Sprache gesprochen wird.
Schon der antike Philosoph Heraklit (6. / 5. Jahrh. v. Chr) hat gelehrt: "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss hinabsteigen." Andere Wasser sind da und wir selbst sind auch anders geworden. Sterben und Vergehen, Wechsel und Veränderung, Entfremdung und Abschied - das sind schmerzliche Erfahrungen. Sie lassen in uns das Gefühl einer Leere aufkommen. Friedrich Rückert sagt in einem Gedicht, das zu einem Lied geworden ist: "Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, / waren Kisten und Kasten schwer; / als ich wiederkam, als ich wiederkam, war alles leer. // Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, / war die Welt mir voll so sehr; als ich wiederkam, als ich wiederkam, / war alles leer."
Man kann seine Zeit damit verschwenden, über den Verlust der angeblich "guten alten Zeiten" zu klagen, über die Jugendzeit, die endgültig vorbei ist, über verpasste Chancen, über bittere Enttäuschungen im Leben, über Misserfolge und Niederlagen. Das sind unfruchtbare Gedankengänge, die wenig hilfreich sind und leicht dazu verleiten, die Chancen und Möglichkeiten der Gegenwart wahrzunehmen. "Als ich wiederkam, war alles leer": Ist die Leere aber nicht auch die Voraussetzung, Neues zu lernen? Oft stehen einem festgefahrene Denkmuster und Bilder im Wege, um offen für neue Erfahrungen zu sein: "Kisten und Kasten waren schwer" und konnten nichts anderes mehr fassen. Man darf nicht unter allen Umständen an allem festhalten, was man als Kind im Elternhaus oder auch in der Schule gelernt hat. Nicht wenige Menschen verkünden mit Stolz: "Was ich einmal als Kind im Religionsunterricht gelernt habe, daran halte ich fest. Das lasse ich mir nicht nehmen!" Das kann im Prinzip eine gute Haltung sein, aber oft bedeutet das auch: Es werden vom Elternhaus bestimmte Wertvorstellungen übernommen, die sich später als Vorurteile herausstellen. Im religiösen Bereich werden Ansichten und Praktiken mitgeschleppt, die erstarrt sind und keine Antworten auf neue Fragen und Situationen bieten.

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.05.2001

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps