Keine Zauberformel
Zur Privatisierung sozialer Dienste

Dieser Tage erreichte uns die Nachricht, dass in Erfurt ein Altenpflegeheim einer privaten Trägergruppe wegen "erheblicher Mängel" bei der Altenpflege vorübergehend geschlossen wurde. Wir zeigen nicht mit den Fingern auf andere und sind erst recht nicht schadenfroh, dass eine Einrichtung eines privatgewerblichen Trägers betroffen ist. Unsere Gedanken sind zuerst bei den 69 Bewohnern und bei den Mitarbeitern. Wir wissen, wie schwer der Dienst der Pflege durch hohe fachliche Anforderungen sowie physische und psychische Belastungen ist. Auch unsere Caritas-Einrichtungen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen dem christlich begründeten Selbstanspruch sowie dem Kostendruck von außen.
Das Schlagwort "Privatisierung" löst sowohl Hoffnungen wie Ängste aus. Die Politiker und Kostenträger hoffen, durch eine forcierte Privatisierung sozialer Dienste und Einrichtungen die Kosten festschreiben beziehungsweise weiter senken zu können. Private Dienste sind vor allem durch die Anwendung anderer Tarifverträge in der Lage, die Preise für bestimmte Leistungen zu unterbieten. Die Grenzen sind jedoch vielfach erreicht. In unseren personalintensiven Diensten geht eine weitere Reduzierung der Preise nahezu vollständig zu Lasten des Personals und in der direkten Folge zu Lasten der Betreuten. Viele Beschäftigte haben Ängste vor einer weiteren Leistungsverdichtung bis hin zum Arbeitsplatzverlust.
Heute werden die sozialen Dienste nicht nur von öffentlichen und frei-gemeinnützigen, sondern zunehmend auch von privaten Trägern erbracht. Insbesondere in den letzten zehn Jahren wurden politisch gewollt in zentralen sozialen Leistungsfeldern, wie zum Beispiel in der Pflege, im Gesundheitswesen und in der Beratung, wettbewerbliche Steuerungselemente eingeführt. Der Staat reagierte damit auf einen stetigen Kostenanstieg im Gesundheits- und Pflegebereich bei gleichzeitig steigenden sozialen Bedürfnissen und sinkenden Steuereinnahmen. Ebenso verlangen Europäisierung und Globalisierung eine geringere Kostenbelastung der Unternehmen und die Stärkung von Markt und Wettbewerb, auch im Bereich der sozialen Dienstleistungen.
Als Caritas haben wir den Wettbewerb nicht unbedingt gesucht, aber wir stellen uns diesem. Wenn dieser Wettbewerb dazu führt, dass die zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen besser, das heißt effizienter für das Gemeinwohl eingesetzt werden, ist er sogar zu begrüßen. Wenn der Wettbewerb aber allein das Ziel hat, Einsparungen zu erreichen, dann wird er in seinen Auswirkungen ruinös sein. Ein ruinöser Wettbewerb richtet sich gegen die Menschen, unabhängig davon, ob sie Leistungserbringer oder -empfänger sind. Im Interesse aller Menschen werden wir uns weiter für einen fairen Wettbewerb einsetzen und den Staat aus seiner ordnungspolitischen Verantwortung nicht entlassen. Wie zu allen Zeiten sind wir Christen auch in der gegenwärtigen Leistungsgesellschaft aufgefordert, aus dem Zukunftspotential unseres Glaubens schöpfend, die Gesellschaft mitzugestalten -lebensnah und ohne Zauberformeln.
Franz Jorgol,
Diözesan-Caritasdirektor Magdeburg
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 15.08.2002