Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Frau, dein Glaube ist groß

Eine Predigt aus diesen Tagen

Der vergangene Sonntag war kein normaler Sonntag: In Teilen unseres Verbreitungsgebietes waren ganze Orte durch die Flutkatastrophe verwüstet. Andere Orte ahnten bereits, dass diese Flut sie bald erreicht. Die Menschen ringsum geschockt von den Bildern. Die Flut war nicht nur Thema der Medien, sondern auch der Predigten, zum Beispiel bei Pfarrer Ulrich Lieb in Schönebeck an der Elbe:

In diesen Tagen spüren wir: Katastrophen, die uns wirklich "auf den Leib rücken" nehmen uns anders mit als solche, von denen wir sonst täglich aus den anderen Erdteilen hören, lesen, sehen. Wenn -wie in diesen Tagen -die Flut kommt, gibt es kein Entrinnen, und Schutz ist nur begrenzt möglich. Auch das so genannte "Warten auf das Wasser" ist schwer zu ertragen. Von Sintflut ist im Zusammenhang mit der derzeitigen Flutkatastrophe des Öfteren die Rede. Sintflut ist vor allem ein biblischer Begriff. Von einer Sintflut wird auf den ersten Seiten der Bibel erzählt. Diese Flut wird als Folge menschlichen Fehlverhaltens dargestellt -als Untergang einer unheilvollen Welt.

Gott habe miserablen Zuständen ein Ende bereiten wollen, um dann mit wenigen Menschen ganz neu anfangen zu können. -So die Kernaussage der biblischen Erzählung. Sie kann so nicht auf die gegenwärtige Flutkatastrophe übertragen werden. Denn konkret hieße das doch: Menschen in Österreich und Bayern, in Tschechien und Sachsen, in Sachsen-Anhalt und Brandenburg, in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, also all jene Menschen, die von der Flut betroffen sind oder auf die sie noch zukommt, wären so einzuschätzen, als ob sie einen besonderen Denkzettel von Gott her verpasst bekommen. ...So kann und will ich auch nicht von Gott denken. Ganz klar: Mit Verdienst lassen sich Naturkatastrophen, Krankheiten, Unglücks- und Todesfälle nicht erklären. Wer das versuchen wollte, ...verhöhnt andere Menschen und macht aus Gott eine Art Buhmann.

Es liegt uns Heutigen fern, Katastrophen als direktes Eingreifen Gottes in unsere Weltordnung zu deuten ...An einen Gott, der willkürlich belohnt und bestraft, glauben Christen nicht. ...Christen glauben, dass Gott unsere Welt und unser Leben "in seinen Händen behält" und die ganze Schöpfung in "seinem Reich" vollenden wird. Christen glauben an Gott als den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Alle Bitten des Gebets, das uns von Jesus her überliefert ist, zielen in eine Richtung: Sie drücken Vertrauen auf Gott aus und möchten Menschen bewegen, sich in ihrem Herzen und Gesinnungen von Gott her leiten zu lassen. Unsere unfertige Welt möge und soll -von allen Übeln und allem Bösen befreit -sich in Gottes Reich vollenden.

Gottes Reich aber ist nicht als abstrakte Größe irgendwo im Jenseits zu verstehen, sondern es soll und kann schon jetzt mitten unter uns Raum finden. Dem Übel und Bösen in der Welt können Menschen entschieden entgegentreten. Erstaunt können wir feststellen, dass immer dann, wenn besonderes Unheil Menschen und Länder heimsucht, gute vorhandene Kräfte freigelegt werden. Das erleben wir auch in diesen Tagen: ...Not wird miteinander geteilt und getragen. Linderung von Unheil wird möglich. Menschen rücken zusammen. ...Da frage ich mich schon, wenn auch zaghaft, warum eigentlich erst etwas Schlimmes eintreten muss, um solche guten Verhaltensweisen hervorzubringen, die sonst so oft von Egoismen und Individualismen verdeckt werden.

Ich möchte mit diesen Andeutungen nicht versuchen, diese Katastrophe schönzureden oder ihr krampfhaft etwas Gutes abzugewinnen. Das wäre makaber. Ich versuche nur leise darauf hinzuweisen, dass schlimme Katastrophen durchaus viele gute Kräfte in Menschen wecken können. Das vermag Hoffnung zu geben und zu wecken -auch für die Zukunft. Was in Not möglich wird, könnte doch auch im Wohlergehen möglich sein.

Auf dem dunklen Hintergrund jener Flut, die viele Menschen heimgesucht hat und noch heimsuchen wird, dürfen wir erst recht zu "unserem Vater im Himmel" rufen: "Dein Reich komme", "dein Wille geschehe", "gib uns alles, was wir wie das tägliche Brot brauchen" und "erlöse uns von allem Bösen". In diesen Bittrufen können wir durchaus von jener Frau lernen, von der im Evangelium dieses Sonntags die Rede ist. Sie lässt sich durch nichts -aber auch durch gar nichts -beirren in ihren Hilferufen an Gott. Sie spürt Hilfe und es wird ihr bestätigt: "Frau, dein Glaube ist groß."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 0 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 22.08.2002

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps