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Aus der Region

Der Henker von Bagdad

Zur internationalen Irak-Krise / Caritas berät in Zürich Katastrophenplan

Göttingen - - Krieg gegen den Irak - die USA im Alleingang? Die Europäer warnen, setzen auf UN-Inspektoren, die das Kriegsarsenal des Diktators erkunden sollen. Ängste werden wach. Diplomaten streiten, während der Krieg im Irak längst Alltag ist - der Krieg gegen das eigene Volk. Seit mehr als 30 Jahren beobachtet die internationale "Gesellschaft für bedrohte Völker" (GfbV) mit Sitz in Göttingen, die offiziell Beraterstatus bei den Vereinten Nationen hat, die Situation im Irak. Im Focus der Menschenrechtler sind Kurden, Assyrer (zumeist Christen), Marscharaber und Turkmenen. Die Chronik des Schreckens, die die GfbV unter dem Titel "Der Henker von Bagdad" zusammengetragen hat, verzeichnet mehr als eine Million Opfer, die seit dem Machtantritt des Baath-Regimes im Jahr 1968 die Herrschaft der Diktatoren Al Bakr und Saddam Hussein mit dem Leben bezahlt haben.

"Ein Regime, das die Züge beider europäischer Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts trägt", sagt Tilmann Zülch (63), Gründer der GfbV und zugleich ihr Präsident, im Gespräch mit dieser Zeitung. Saddam Hussein scheue nicht davor zurück, in ständiger Hysterie Angehörige der Baath-Partei, seiner Revolutionären Garden und sogar seine Schwiegersöhne zu ermorden, zieht Zülch Parallelen zum stalinistischen Terror. Die "gnadenlose Verfolgung" von Minderheiten erinnere zudem an den Nationalsozialismus. Allein bei der "Anfal-Offensive" 1987, als Saddam Hussein mit Giftgas gegen kurdische Siedlungen vorging, seien 187 000 Menschen umgebracht worden. Auch die jüdische Bevölkerung ist heute so gut wie ausgelöscht im Irak, vertrieben und vernichtet.

Christen sind ebenfalls unter den Opfern, bestätigt Zülch, überall dort, wo sie als ethnische Gruppe aufträten, wie die assyrisch-aramäischen Christen. Viele ihrer Dörfer seien dem Erdboden gleichgemacht worden. Auch in den Kriegen Husseins wie gegen den Iran seien Zehntausende gefallen -für eine Sache, die nicht die ihre war. Die Folge: Viele Überlebende haben das Land verlassen, ihr Anteil an der Bevölkerung ist geschrumpft. Verlässliche Zahlen gibt es kaum. Angaben wie die des Hamburger Vereins Mar Gabriel, wonach in den 50er Jahren noch 40 Prozent der Bevölkerung Christen waren, lassen sich nicht verifizieren. Auch Schätzungen über ihren heutigen Anteil gehen auseinander: Zwischen drei und sieben Prozent bei 20 Millionen Einwohnern.

Ist ein Ende mit Schrecken nicht richtig? Zülch ist da mehr als skeptisch, ob "ausgerechnet die USA", die den Massakern an Kurden und Schiiten mehrfach tatenlos zugeschaut hätten, die Probleme militärisch lösen könnten. "Beides ist schlimm", sagt Zülch, "die Fortsetzung des Terrors von Hussein und die Perspektive einer militärischen Intervention der USA. Wir fordern daher nur dazu auf, an die Zivilbevölkerung zu denken." "David, schau nach deinen Brüdern, ob es ihnen gut geht." Pastor Horst Oberkampf führt diesen Satz aus dem Buch Samuel zur Begründung seines Engagements an. Der evangelische Geistliche aus Bad Schussenried unterstützt mit einem Freundeskreis Projekte der Assyrer im Nordirak. Der Hamburger Verein "Mar Gabriel", an dem auch katholische Christen wie Monsignore Wilm Sanders mitwirken, will syrischen Christen (auch im Irak) helfen -vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit. Hilfswerke wie "Kirche in Not" oder Caritas international (siehe rechte Spalte) sind im Irak aktiv. Allein "Kirche in Not" hilft mit jährlich 250 000 Euro katholischen Chaldäern ebenso wie orthodoxen Assyrern beim Bau, Renovierung und Unterhalt von Kirchen und Gemeindezentren im ganzen Land. Mess-Stipendien ermöglichen Priestern das Überleben. Eine Hilfe, freut sich Kirche in Not-Sprecher Michael Ragg, die erst kürzlich auch im Neuen Deutschland gewürdigt wurde. Eine unverdächtige Adresse für das Lob eines kirchlichen Hilfswerks. Bei der Caritas arbeitet man derzeit an einem "Katastrophenplan", wie Irak-Referent Wolfgang Fritz bestätigt. Am 3. September haben sich Caritas-Spezialisten aus Europa und den USA in Zürich getroffen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Die Zeichen stehen auf Krieg.

Gerrit Schulte

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 36 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 06.09.2002

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