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Aus der Region

Gefangen in der Illegalität

Bis zu einer Million Ausländer leben illegal in Deutschland / Woche des ausländischen Mitbürgers

Berlin - Rosa ist weg. Die Kolumbianierin ist wohl mit ihrem sechs Jahre alten Enkelkind aus Deutschland ausgewiesen worden, vermutet die Beraterin. Sie will ihren Namen nicht nennen; noch immer sind Rat und Hilfe für illegal in Deutschland lebende Ausländer von Haftstrafen bedroht. Auch ihr Arbeitsort soll nur als Rhein-Main-Gebiet beschrieben werden. Fast zwei Jahre hat sie Rosa, die einst mit einem Touristenvisum zur legal hier lebenden Schwester einreiste, begleitet. Hat ihr weitergeholfen bei der Wohnungssuche, bei Krankheit oder der Suche nach dem Platz im Kindergarten für die Enkelin. Jetzt ist Rosa genauso verschwunden wie sie auftauchte und lebte: unangemeldet.

Zwischen 500 000 und eine Million Menschen leben nach Schätzungen illegal in Deutschland. Auch ihnen gilt die am 29. September startende ökumenische "Woche des ausländischen Mitbürgers". Illegale sind Opfer von Schleppern und Menschenhändlern, sind Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsmigranten ohne Aufenhaltserlaubnis. Ihre Arbeitsplätze bilden einen riesigen Markt illegaler Beschäftigung: im Bauwesen, in der Prostitution, in privaten Haushalten. Ihre Nöte - Ausbeutung, Kriminalität und Gewalt, Krankheit, Einsamkeit - haben einen schwarzen Markt an Hilfen geschaffen, der überlebenswichtig ist. Tag für Tag sind diese Menschen gefangen in der Gefahr, entdeckt und ausgewiesen zu werden. "Illegale werden nie schwarzfahren, nicht rennen, nicht auffallen und nur in engsten Freundeskreisen verkehren", sagt die Beraterin. Hilfen müssen bar bezahlt werden, es gibt keine Versicherungen, keine einklagbaren Rechte. In jüngster Zeit seien viele zur ihr gekommen mit einer Hoffnung: Da gebe es jetzt ein Zuwanderungsgesetz, so hätten sie gehört. Doch die Beraterin muss sie enttäuschen: An ihrer Situation ändert das nichts. Das meint auch der Münsteraner Weihbischof Josef Voß, der in der Bischofskonferenz für Migranten zuständig ist. Entgegen den Empfehlungen der Zuwanderungskommission habe der Gesetzgeber die Problematik der hier lebenden illegalen Ausländer im Zuwanderungsgesetz nicht aufgegriffen. Bedauerlich, sagt der Bischof, verweist aber zugleich auf Bundesländer wie Berlin, die sich mit "pragmatischer Vernunft" den Fragen stellten.

Barbara John (CDU), Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, bestätigt auf Nachfrage: "Wir versuchen, praktische Regelungen zu finden, um die Probleme zu mildern." Das gelte zum Beispiel für Einschulungen oder Geburtsurkunden. Schulleiter und Beamte, die sich in diesen Fällen nur einen Pass, nicht aber die Meldebestätigung vorlegen ließen, müssten nicht mit Strafe rechnen. Die gesetzliche Strafandrohung bei Hilfen für Illegale gelte ohnehin nur denen, die verpflichtet seien, sich eine Meldebescheinigung vorlegen zu lassen - also nicht Ärzten oder anderen Helfern in Notlagen, sagt John. Tatsächlich ist bisher noch keine Anklage wegen solcher Dienstleistungen für Illegale bekannt geworden. John, die auch Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken ist, will das Thema "entdramatisieren": "Illegale sind zumeist nur befristet hier. Sie haben Menschenrechte wie alle anderen auch. In Notfällen also Hilfe. Aber keine Politik, die eine Magnetwirkung in die Illegalität nach sich zieht."

Weihbischof Voß betont: "Es war nie Ziel der Kirche, dass alle Illegalen legalisiert werden." Voß will aber den Blick auf die Ursachen lenken. Es sei doch eine Illusion, in Zeiten der Globalisierung von Finanz-, Handels-, Verkehrs- und Kommunikationsmärkten zu glauben, man könne für Menschen Grenzen dicht halten. Als "erschütternd" empfindet es Voß, was Menschen in "zukunftsloser Armut" auf sich nähmen, "um einen Zipfel Hoffnung für sich und ihre Kinder zu ergattern". "Wenn es uns nicht gelingt", warnt Voß, "eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu verwirklichen, die den ärmeren Ländern Zugang zu unseren Märkten schafft und ihnen Wege zur Demokratisierung ebnet, dann wird sich der Sog aus diesen Ländern und der Druck in den reichen Staaten noch verstärken."

Gerrit Schulte

Informationen zum Thema:

- Jörg Alt: Illegale Migration in Deutschland. In: Klaus Bade. Migrationsreport 2002.
www.joerg-alt.de

- Gewalt gegen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus.
In: Ökumenischer Vorbereitungsausschuss (Hrsg.)
Materialheft zur Woche der ausländischen Mitbürger 2002.
Postfach 16 06 46,
60069 Frankfurt/Main
www.interkulturellewoche.de

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 38 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 19.09.2002

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