Lernen, was der Wille Gottes ist
Lernen, was der Wille Gottes ist
Wollte man kurz und bündig formulieren, worauf es im Leben ankommt, was Ziel allen Trachtens und Tuns sein soll, könnte man sagen: In allem den Willen Gottes zu erfüllen suchen. So gut, so richtig. Die zweite Frage aber hat es in sich: Was ist der Wille Gottes für mich im gegebenen Augenblick? Dass die Antwort darauf nicht immer einsichtig und leicht ist, das haben wir alle erfahren. Da hört oft alle "Selbstverständlichkeit" auf.
Auch Jesus hat das erfahren und lernen müssen, was der Wille des Vaters für ihn ist. Jesus sagt von sich selbst: "Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat" (Joh 4,34). Und: "Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen ..." (Joh 6,37). Da kommt mir immer die Begegnung Jesu mit der kananäischen Frau in den Sinn (Mt 15, 21 bis 28). Diese Frau, als Nicht-Israelitin eine Heidin, bittet ihn, ihre von einem Dämon gequälte Tochter zu heilen. Jesus aber gibt keine Antwort, ignoriert sie. Die Frau aber gibt nicht auf. Den Jesus begleitenden Jüngern ist das peinlich: "Schick sie weg, denn sie schreit hinter uns her." Und Jesus rechtfertigt sich, warum er sie stehen lässt, sie abweist: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt."
So versteht er den Willen Gottes. Und das ist sein Konzept, in das diese heidnische Frau nicht hineinzupassen scheint. Und dann geschieht das Überraschende: Er wird unsicher, als die Frau sich nicht abweisen lässt. Jesus wird überwältigt von dem Vertrauen, von dem Glauben dieser Frau. Er erkennt, dass seine Sendung weiter ist, als er bisher dachte. Jesus lernt in diesem Augenblick, was der Wille des Vaters ist und er erhört ihre Bitte: "Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen." So ist der Wille dieser Frau der Wille Gottes! Jesus begegnet den Menschen nicht mit einem fertigen Konzept. Er ist sensibel für die Not und den Glauben der Menschen, die ihm begegnen. Er lernt immer neu, was es heißt, Gott gehorsam zu sein, wie es im Hebräerbrief heißt: "Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt" (Hebr 5,8).
Wie steht es mit unserem Lebenskonzept? Ist es klar definiert, abgeschlossen? Eingeschlossen in den Kreis unserer täglichen Pflichten und Aufgaben? Oder ist es offen für unerwartete Begegnungen mit Menschen, die uns brauchen? Möchten wir nicht auch oft sagen: "Schick sie weg, die passen mir jetzt gar nicht in den Kram?" Den Willen Gottes zu erfüllen, heißt flexibel, lernbereit zu sein und den Willen Gottes aus der Not der Menschen zu erkennen, die uns begegnen und uns um Hilfe bitten. Das macht unser Leben unübersichtlich.
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 19.09.2002