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"Jetzt geht es mir besser"

Ein Betroffener berichtet von seiner Suchtkrankheit und dem Ausweg daraus

Krisenzeichen ernst nehmen: Die Krankheit Alkoholismus schleicht sich langsam in das Leben ein, zahlreiche Lügen - die oft vom Menschen selbst gemacht sind - unterstützen diesen Prozess.

Ich bin seit 1999 im Kreuzbund, weil ich Hilfe gesucht und auch bekommen habe. Als Leiter einer Selbsthilfegruppe konnte ich meine Erfahrungen an andere Betroffene weitergeben, mir gleichzeitig aber auch noch wertvolle Kenntnisse aneignen. Darüber hinaus erwarb ich das Vertrauen unserer Kreuzbundmitglieder, welche mich in den Vorstand wählten und mir somit die Möglichkeit gaben, meine Persönlichkeit für mich, für uns, für andere voll entfalten zu können. Um nach vorn zu schauen, sollte man manchmal auch zurückblicken. Bis ich erkannt hatte, dass ich Alkoholiker bin, bedurfte es langer Denkprozesse. Dies wäre ohne wochenlange therapeutische Hilfe in einem Fachklinikum und dem Anschluss an eine Selbsthilfegruppe nicht möglich gewesen. Denn wie war es denn damals? Alkohol und davon abhängig -ich doch nicht! Wie sollte ich auch merken, dass ich irgendwie immer mehr benötigte, auch gleich mal morgens ein wohltuendes Bier auf nüchternen Magen trank -das sind doch Ausnahmen. Bei der Arbeit freute ich mich schon, wenn ich abends meine gesellschaftliche Tätigkeit hatte, und natürlich im Anschluss auf das gemütliche Beisammensein. Meine ehrenamtliche Tätigkeit war für mich ein willkommenes Alibi, um meinen Alkoholgenuss zu Hause rechtfertigen zu können, denn schließlich muss man zum Kollektiv halten und mittrinken. Bei Familienfeiern konnte ich es kaum erwarten, bis der Gastgeber endlich ein- und nachschenkte. Am liebsten hätte ich mich selber bedient, aber das gehörte sich ja nicht. Dafür hatte ich vorsichtshalber vorgesorgt in meiner Manteltasche. Wenn ich Gäste hatte, wurde selbstverständlich auch gesittet eingeschenkt, und ich trank bescheiden mit. Für den Schluck zwischendurch hatte ich bereits an anderer Stelle vorgesorgt. Den Gästen fiel meist auf, dass ich die Tafel öfter verließ und schon beizeiten "zu bin". Ich begann immer mehr im ewigen Kreislauf des Trinkens zu versinken, hatte Misserfolge, Arbeitsplatz- und Führerscheinverlust, aber Schuld waren die Umstände und die Anderen. Für mich war klar, ich werde mich ändern und es den Anderen zeigen, diesen Entschluss hatte ich immer bei einer Flasche Schnaps, ich hatte es auch gelernt, "mit Alkohol umzugehen".

Meine Frau brachte mir, um allen Ärger aus dem Weg zu gehen und ihre Ruhe zu haben, vom Kaufmarkt ab und zu ( dann regelmäßig) zwei Büchsen Bier sowie einen kleinen Flachmann mit. Ich brauchte die Alkoholfahne, um dann unbemerkt meinen vorsorglich versteckten (Mehr)- Alkohol trinken zu können. Meine Frau sollte ja nicht schlecht von mir denken, ich hatte ja nichts weiter getrunken, bis auf das, was sie mitbrachte. Dies ging auf Dauer nicht gut, denn auch diesen Trick durchschaut der Partner. Die Alkoholverstecke mussten besser werden, manchmal wusste selbst ich nicht mehr, wo ich was versteckt hatte, oder meine Frau fand das Versteck und stellte die Flasche wortlos mir vor die Nase. Aber irgendwie war einem nichts mehr peinlich, es gab immer wieder Versprechungen, mich zu ändern, immer wieder beteuerte ich, nur dieses eine Mal noch, dann ist Schluss. Meine Ehe bestand nur noch auf dem Papier, wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Mir selbst ging nichts mehr von der Hand, ich schwebte in einer anderen, von mir eingebildeten, Welt. Auch hier konnte ich "gut" mit Alkohol haushalten. Wenn ich früh aufwachte, war immer noch eine halbe Flasche Schnaps und zwei Büchsen Bier griffbereit. Wenn es mich bei den ersten Schlücken auch abwürgte, so war es doch ein herrliches Gefühl, die innere Wärme in meinem Körper durch den Schnaps zu spüren und eine Zigarette dazu, man war doch gleich wieder ein anderer Mensch, man konnte wieder mit mir reden.

Ich konnte keine wichtigen Dinge mehr regeln, da ich ständig von einer Alkoholfahne begleitet war, man will sich ja keine Blöße geben, also musste die Frau ran. Sogar meine Kinder haben mich nicht mehr für voll genommen, ich hatte meinen Respekt verloren. Es ist wie ein Wunder, dass meine Frau mich nicht verlassen und weiterhin an mich geglaubt hat. Ich hatte dann auch Versuche unternommen, durch ambulante Hilfe mit Medikamenten vom Alkohol wegzukommen, und sei es erst mal für eine Weile beziehungsweise bis ich meinen Führerschein wiederhabe. Das schaffte ich sogar für ein Jahr. Als ich meinen Führerschein wieder bekam, hatte ich doch etwas erreicht und jedem gezeigt, ich kann, wenn ich will. Mit diesem Gedanken belohnte ich mich am nächsten Kiosk, und alles ging von vorne los, und der Führerschein war wieder weg. Als nächstes unterzog ich mich einer 14-tägigen stationären Entgiftung. Nach der Entlassung mit guten Ratschlägen des Arztes im Gepäck war mir immer noch nicht klar, dass es bei mir wirklich so wäre, wie er meinte. Ich dagegen meinte, dann trinkst du eben "alkoholfreies Bier", um wenigstens nicht auf den Geschmack verzichten zu müssen. Da dies erst einmal funktionierte, konnte es ja nicht schlimm sein, mal ein richtiges Bier zu trinken. Der Rückfall war mit dem Genuss von sogenanntem "alkoholfreiem Bier" vorprogrammiert und nicht mehr aufzuhalten. Als nächstes besuchte ich die im Ort befindliche Selbsthilfegruppe und sprach mit dem Verantwortlichen unter vier Augen. Ich brauchte ihm nicht viel über mich zu erzählen, ich hatte das Gefühl, er kannte mich innerlich. Dieses geführte Gespräch beeindruckte mich sehr, ich dachte zu Hause bei einer Büchse Bier darüber nach. Alarmsignale des Körpers werden ignoriert und die Leber konnte auch bei mir nicht mehr diese Mengen der langen Trinkphase verarbeiten. Wenn es dann fünf vor zwölf ist, fängt man schlagartig an zu begreifen, weil auch ich an meinem Leben hing und auch noch Verantwortung meiner Familie gegenüber habe.

Die Zeit der Besinnung und der Tränen war angesagt, Geb's Gott, dass ich nicht sterben muss, ich würde alles wieder gutmachen. In der weiteren Behandlung kam meine Chance und es ging bergauf. Schnell war das Vorherige vergessen, und ich dachte bei mir, dass die Ärzte die Sache vielleicht doch übertrieben hätten, und hatte plötzlich wieder eine Büchse Bier in der Hand.

Neue Zielstellung, nicht so übertreiben mit dem Alkoholgenuss, tagsüber nichts trinken, und abends muss ja die Flasche nicht leer werden. Es versteht sich von selbst, dass der Ehepartner keine Lust mehr hatte, dasselbe wieder mit durchzumachen. Meine Frau und auch meine Tochter stellten mich vor die Wahl, entweder ordentlichen Entzug jetzt und sofort oder die Trennung, somit trank ich hastig noch die letzte Büchse Bier vor der Fachklinik aus. Ich konnte nicht mehr sortieren, was jetzt und dann auf mich zukommt, dazu gingen mir zuviele Gedanken durch den Kopf, mich bewegte auch noch während der Behandlung immer nur ein Problem: "Wie wird dein Leben ohne Alkohol aussehen? Geht das überhaupt? Freunde, Geselligkeit, Mut und so weiter ohne Alkohol, da ist man doch kein richtiger Mann mehr. Wie sage ich es den Anderen und wie werden sie über mich reden?" Heute weiß ich, dass ein Leben auch ohne Alkohol schön sein kann. Ich helfe mir auch, indem ich mir nicht sage, dass ich mal nie, nie wieder Alkohol trinken darf, sondern wie es zuvor war, ging es nicht weiter -jetzt geht es mir besser!

Der Verfasser dieses Berichtes gehört zum Kreuzbund Crimmitschau, einer Selbsthilfeund Helfergemeinschaft für Suchtkranke und deren Angehörigen. Er ist unter der Telefonnummer (0 37 62) 4 54 44 erreichbar.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 41 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 10.10.2002

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