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Die Welt im Alter von oben sehen

Das Wichtige im Leben kennen alte Menschen oft viel besser als junge

Pater Damian

Als Jugendliche meinten wir, die ganze Welt stehe uns offen. Auf unserem Lebensweg haben wir uns aber bei jeder Gabelung und Kreuzung entscheiden müssen: Keiner kann zugleich in drei verschiedene Richtungen gehen. Eine Entscheidung bedeutet immer auch Verzicht auf andere Möglichkeiten. Das gilt bei Ausbildung und Berufswahl, Wahl des Ehepartners, Wohnort und Bekanntenkreis. Wenn auch "Kurskorrekturen" auf unserem Weg durchs Leben manchmal angesagt sind, wird doch das Band der Möglichkeiten immer schmaler. Der Weg wird enger und führt in eine Richtung. Er führt aber auch aufwärts. Im Alter stehen wir sozusagen auf einem Aussichtsturm, vom dem aus wir einen guten Überblick haben. Wir gewinnen Weitsicht und Einsicht, Reife und Weisheit, über die wir als Jugendliche nicht verfügen konnten. Wir wissen besser, worauf es im Leben ankommt.

Gegen den herrschenden Jugendlichkeitskult in unserer Gesellschaft stellt der Psychotherapeut und Theologe Manfred Lütz die Vorzüge und Stärken des Alters heraus: "Man muss den Mut haben, der Wahrheit ins ungeschminkte Antlitz zu sehen, und die Wahrheit ist: Das Wichtige im Leben, das kennen alte Menschen viel besser als junge. Denn das Wichtige weiß man nicht, das Wichtige erfährt man. Daher ist in Wirklichkeit das Alter eine Ressource, eine Kraftquelle für das einzelne Leben und für die Gesellschaft. Gewiss, mit der immer schnelleren Entwicklung des technischen Wissens können die Jungen eher mithalten als die Alten. Doch all dies Wissen ist zwar nützlich, aber nicht wirklich wichtig im Leben. Wichtig sind Hoffnung und Verzweiflung, Vertrauen und Enttäuschung, Freude und Trauer, Glaube und Liebe und schließlich und endlich der Sinn des Lebens. Ob ein Leben scheitert oder gelingt, alles entscheidet sich an der Tragfähigkeit dieser Erlebnisse. Unendlich wichtig ist es also, sich auf diese Wirklichkeit verlassen zu können.

Über das Wichtige im Leben erlangt man aber keine kalkulierbare Sicherheit. Es entzieht sich unserer Planung und Machbarkeit. Das macht das Leben so spannend. Der Blick zurück lässt uns als gläubige Menschen erkennen: Gott war mit uns auf unserem Weg, hat uns begleitet, sich um uns gesorgt. Der Gott, der sich dem Mose im brennenden Dornbusch offenbarte als der "Ich-bin-da", er ist ein Gott des Weges. Der Ort, wo er sich finden lässt und wo er uns findet, ist unser Lebensweg mit all seinen Umwegen und Irrwegen. "Ein Ehrenkranz der Alten ist reiche Erfahrung, ihr Ruhm ist die Gottesfurcht" (Sir 25,6).

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 41 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 10.10.2002

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