Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Bistum Dresden-Meißen

Über Generationen weitergegeben

Vortrag über Konflikte und Gewalt in Familien

Dresden -Gewalt in Familien setzt sich über Generationen hinweg fort. Diese Auffassung vertrat die Familientherapeutin Ruth Heise aus Darmstadt in einer Vortragsveranstaltung des Kathedralforums in Dresden. Der Verlust der Väter und Partner während des zweiten Weltkrieges habe schwere Spannungen innerhalb der Familien zur Folge gehabt. Nicht selten hätten Partner oder Kinder als "Blitzableiter für einen Gefühlsstau" herhalten müssen. Erziehungsmethoden, in denen Gewalt eine Rolle spiele, seien bis heute tradiert worden. Ruth Heise berichtete von einem achtjährigen Jungen, der mit Symptomen hochgradiger Aggressivität in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Untersuchungen der Beziehungen innerhalb seiner Familie hätten Verhältnisse zu Tage gefördert, die von verschiedenen Traumata geprägt wurden. So sei der Großvater des Jungen väterlicherseits zu Kriegsende erschossen worden, dessen Frau verschwunden. Das Verhältnis des Vaters zu anderen sei von diesen frühen Erlebnissen bestimmt worden. Hinzu sei eine inzestuöse Beziehung der Mutter des Jungen zu ihrem Vater gekommen. Daraus sei die Schwester des Jungen hervorgegangen. Der Junge habe schließlich den Stress der gesamten Familie auf sich genommen.

Obgleich es sich um ein Extrembeispiel handele, so Ruth Heise, zeigten auch andere Fälle: "Die jüngere Generation rächt die ältere." Viele Kinder trügen "verheerende Bilder" ihrer Eltern in sich. Mit ihrem von der Norm abweichenden Verhalten riefen sie gleichsam um Hilfe für die ganze Familie. In solchen Fällen brauchten auch die Familienangehörigen eines Patienten die Hilfe von Therapeuten.

Jede Familie durchlaufe Phasen, die immer wieder Anlass für Konflikte böten, so Ruth Heise. Vielfach folge das Verhalten der Partner einem traditionellen Rollenverständnis: der starke, dominierende Mann und die für Ausgleich sorgende Frau. Sobald jedoch einer der beiden auch andere Seiten seiner Persönlichkeit ausleben wolle -der Mann beispielsweise seine weiche, schutzbedürftige Seite -, komme es zu Konflikten. Viele Menschen suchten einen Partner, der eine Ergänzung für ihre eigene Persönlichkeit darstelle. Diese Hoffnung, mit Hilfe des Ande- ren zu einer harmonischen Ganzheit zu gelangen, erweise sich später häufig als Illusion.

Wenn es zu Gewalt innerhalb der Familien komme, so Ruth Heise, sei der erste Schritt in der Beratung das Eingeständnis, dass man Gewalt angewendet habe. Dabei gehe es nicht um Schuld. Vielmehr um das Begreifen, dass das eigene Tun Konsequenzen habe. Unter Umständen sei auch eine "Ablösungs- und Aussöhnungsarbeit" mit den Eltern nötig. Wichtig sei jedoch vor allem die "Versöhnung mit den eigenen Schattenseiten".

Tomas Gärtner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 18.10.2002

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps