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"Christenverfolgung durch Christen"

Kölner Kardinal Meisner zur Lage der katholischen Kirche in Rußland

Seit Papst Johannes Paul II. im Februar vier römisch-katholische Bistümer auf dem Gebiet der Russischen Föderation errichtete, sind die Beziehungen zwischen russisch-orthodoxer und katholischer Kirche äußerst schwierig. Russische Behörden verweigerten fünf ausländischen Priestern die Wiedereinreise beziehungsweise entzogen ihnen die Aufenthaltserlaubnis. Der Vatikan spricht mittlerweile von "Verfolgung". In einem Interview der Katholischen Nachrichten- Agentur erläuterte Kardinal Joachim Meisner (Köln), wie er die Lage in Russland einschätzt.


Frage:
Herr Kardinal, das Verhältnis zwischen der russischorthodoxen und der katholischen Kirche in Russland ist sehr angespannt. Wie bewerten Sie die Situation?


Meisner:
Was in Russland stattfindet, ist eine Christenverfolgung durch Christen. Wenn Katholiken zum Gottesdienst gehen und von aufgehetzten orthodoxen Christen geschlagen, bespuckt und mit Steinen beworfen werden, dann ist das nichts anderes als Katholikenverfolgung. Und was besonders schlimm ist: Die kleine Hand voll katholischer Christen in Russland, die 70 Jahre gleichsam im Feuerofen sowjetischer Verfolgung saßen, die werden jetzt wieder verfolgt -nicht von Ungläubigen, sondern von Menschen, die sich auch Christen nennen. Das bedrückt mich sehr.


Frage:
Wo sehen Sie Ursachen für den Konflikt?


Meisner:
Die orthodoxe Kirche distanziert sich offiziell von den Ausweisungen. Sicher stand da kein orthodoxer Bischof auf dem Flugplatz, als die Priester zurückgewiesen wurden. Doch mich befremdet, dass von orthodoxer Seite kein Wort der Identifizierung mit den Ausgewiesenen zu hören war. Ich schäme mich zu sagen, dass dahinter wohl nur eine gewisse Eifersucht der russisch-orthodoxen Kirche stehen kann.


Frage:
War es ein Fehler, dass der Vatikan im Februar vier Bistümer in Russland errichtet hat?


Meisner:
Warum? Die orthodoxe Kirche errichtet hier am laufenden Band Pfarreien. Das ist das gute Recht jeder Kirche, denn Seelsorge braucht eine äußere Struktur. Ich höre hin und wieder, die katholische Kirche habe die Gefühle der orthodoxen Kirche nicht genügend beachtet. Ja, dann soll man uns das sagen und wir bitten um Entschuldigung.


Frage:
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, katholische Priester versuchten, orthodoxe Gläubige systematisch abzuwerben?


Meisner:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass orthodoxe Christen selber an das Argument glauben. Sie benutzen dafür das Wort "Proselytismus". Das bedeutet die Abwerbung von einer Konfession zur anderen. Was unsere kleinen Gemeinden in Russland aber tun, ist, Katholiken zu betreuen sowie Atheisten, die Christen werden möchten. Das sind Bekehrungen, das ist kein Proselytismus. Die Orthodoxen sagen aber, ein russischer Mensch -wenn er Christ wird -muss russisch-orthodox werden. Sonst sei das Proselytismus. Das ist theologisch nicht sauber. Hier kommt die Religionsfreiheit ins Spiel. So muss ich auch die Entscheidung eines Katholiken respektieren, der orthodoxer Christ werden will. Ich freue mich nicht darüber, aber ich verdamme es auch nicht.


Frage:
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die katholische Kirche in Russland werde zu sehr von polnischen Priestern dominiert?


Meisner:
Das ist verfehlt. Unsere arme katholische Kirche in Russland hatte 80 Jahre lang keine Möglichkeit, Priester auszubilden. Jetzt stehen wir vor einem Neuaufbau. Da helfen polnische Priester aus der Not. Polen ist das europäische Land mit den meisten geistlichen Berufungen. Aber damit wird die Kirche doch nicht polonisiert. Je mehr eigene Priester Russland hat, umso mehr wird sich die Mitarbeit der Polen erübrigen.


Frage:
Wie beurteilen Sie die Rolle von Präsident Wladimir Putin?


Meisner:
Ich weiß nur aus der Geschichte, dass die orthodoxe Kirche mit dem Staat immer eine innige Verbindung eingegangen ist. Und ich muss sagen: Die russische Religionsgesetzgebung ist gegen die Menschenrechte gerichtet. Sie degradiert alle nichtorthodoxen Religionsgemeinschaften zu Religionen zweiter Klasse.


Frage:
Wo sehen Sie Lösungswege?


Meisner:
Man darf nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Wir dürfen auf die Aktionen, die gegen unsere Kirche gerichtet sind, nicht panisch reagieren. Wichtig ist, dass unsere Hilfswerke "Renovabis" und "Kirche in Not" karitative Projekte ökumenisch finanzieren -gemeinsam mit der orthodoxen Kirche. Das wird bereits praktiziert und hilft, Ängste abzubauen.


Frage:
Was bedeutet diese Entwicklung für ein mögliches Treffen des Moskauer Patriarchen Alexji II. und Papst Johannes Paul II.?


Meisner:
Das Treffen ist nötiger denn je. Es wäre ein Zeichen, das auch in Russland nicht folgenlos bliebe. Ich traue dem Papst zu, dass es nicht zu einer größeren Konfrontation käme, sondern aus dem Gegeneinander ein Nebeneinander würde. Und dann wird der Heilige Geist uns eines Tages ein Miteinander schenken.

Interview: Viola van Melis

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 18.10.2002

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