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Auf zwei Minuten

Die Sehsucht nach Gott

Warum wir Gott suchen müssen, um ihn zu finden

Pater Damian

Sri Ramakrishna (1834 bis 1886), ein berühmter hinduistischer Meister des geistlichen Lebens, sagte einmal zu einem seiner Schüler: "Wenn du nach Gott verlangst, so wird er zu dir kommen." Der Schüler verstand nicht. Eines Tages badeten beide im Fluss und der Lehrer sagte: "Tauche unter!" Der Schüler tat es. Sofort war Ramakrishna über ihm und hielt ihn unter Wasser fest, bis der Schüler erschöpft war. Dann ließ er ihn frei. Aufgetaucht fragte er ihn: "Was hast du da unten empfunden?" "Das unbändige Verlangen nach einem Atemzug", antwortete der Schüler. ,,Sehnst du dich nach Gott ebenso?" "Nein." "Dann musst du es lernen" , erwiderte darauf der Meister. ,"Denn erst, wenn du das tust, wirst du Gott finden." (Nach Klaus Müller).

Sehnsucht kommt in uns auf, wenn wir den Graben zwischen der Welt, wie sie ist, und dem Hunger unseres Herzens nach Einheit, Ganzheit, Liebe und Geborgenheit spüren. Auch die Bibel weiß, dass der Mensch ein Wesen der Sehnsucht ist. Besonders für den Gläubigen trifft das Wort Tucholskys zu: "Die Welt ist eine Nummer zu klein geraten." Er macht die schmerzliche Erfahrung: Nichts in dieser Welt kann ihn letztlich erfüllen, er ist unersättlich und maßlos in seinem Verlangen nach Glück und Erfüllung. Er erfährt sich als Fremdling , der immer unterwegs nach einer bleibenden Stätte ist, wo er zur Ruhe kommt. Nur der unendliche Gott vermag unsere maßlose Sehnsucht zu stillen. Augustinus hat das auf die bekannte Formel gebracht: ,"Du hast uns zu dir hin erschaffen, und unser Herz kommt nicht zur Ruhe, bis es ruht in dir."

Sehnsucht nach Gott -ist sie in uns lebendig, schmerzlich lebendig? Haben wir uns gerade als "gute Christen" nicht eingerichtet zwischen Pflichterfüllung, Gottesdienstbesuch, religiösen Übungen und einer gelassenen Zufriedenheit? Und doch haben wir es nötig, unser ganzes Leben Gott zu suchen, sehnsüchtig auszuschauen nach seinem Geheimnis. Wie ist das möglich? Weil Gott uns schon längst gesucht und gefunden hat! Er hat sich uns mitgeteilt und wohnt in uns. Unsere Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit aber hindern uns daran, von seiner Gegenwart ergriffen zu werden. In den Seligpreisungen der Bergpredigt nennt Jesus die Menschen glücklich, die Sehnsucht nach Gott haben, die hungern und dürsten, die sich ihrer Armut und Bedürftigkeit vor Gott bewusst sind. Und: "Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen" (Lk 1,53). Um die brennende Sehnsucht nach Gott in uns zu entfachen und zu erhalten, beten wir mit dem Psalmisten: ,,Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?" (Ps 42,2-3)

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 18.10.2002

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