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Auf zwei Minuten

Heimat und Heimatlosigkeit der Christen

Kann der Glaube Heimat sein ?

Pater Damian

Die Heimat aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen verlassen zu müssen, aus seiner Heimat flüchten zu müssen oder mit Gewalt vertrieben zu werden, das war und ist bis in die Gegenwart das Schicksal von vielen Millionen Menschen. In unserer mobilen Gesellschaft ist es überdies für viele notwendig und auch selbstverständlich, aus beruflichen Gründen aus der angestammten Heimat wegzuziehen. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten ist der Begriff Heimat und der Abschied von ihr, wie er in der Dichtung dargestellt wird nicht mehr mit so starken Emotionen verbunden. Was bedeutet Heimat? Geburtsort, Wohnort, vertraute Umgebung, gemeinsame Sprache? Entscheidender als der Wohnsitz scheint es zu sein: Verstanden, angenommen, geliebt zu werden. Da kann man Luise Rinser nur zustimmen: "Das Zuhause, das ist abgewandert aus dem Raum in die Zeit: Wenn ich mit einem geliebten Menschen oder einem kleinen Kreis von Menschen zusammen bin und plötzlich mein Ich sich aufgehoben fühlt und einverleibt der Welt (,wo zwei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen' ) was das bedeutet, weiß ich mit allen Fasern, und wenn das Wir sich ereignet, dann bin ich geborgen." Heimat bedeutet auch Geborgenheit in einer liebenden Gemeinschaft.

Kann der Glaube Heimat sein? Der Blick in die Bibel zeigt: Von Anfang an herrscht die Spannung zwischen Beheimatung und Heimatlosigkeit: Abraham verlässt seine Verwandtschaft und sein Vaterhaus, das prägende Ereignis für das Volk Israel ist der Auszug aus Ägypten, später folgt dann das Exil in Babylon. Immer wieder kommt es zu neuen Aufbrüchen. Und Jesus? Seine Verkündigung des Reiches Gottes zielt nicht auf ein abgesichertes, friedliches Sich-Einrichten, sondern ruft in die Nachfolge (Mk 1 0,29). In der neutestamentlichen Briefliteratur wird verschiedentlich betont, dass zum Christsein Heimatlosigkeit gehört. Die Christen sind "Fremde und Gäste auf Erden" (Hebr 11,13). Paulus spricht von der Heimat der Christen im Himmel (Phil 3,20). Für den Christen heute gibt es kein Zurück in eine "Christenheit" etwa des Mittelalters, die alle Lebensbereiche prägte und normierte. Ein übertriebener Traditionalismus bietet keine Heimat mehr. Der Christ lebt mehr und mehr in der Diaspora. Der Rückzug auf die kleinen Gemeinschaften Gleichgesinnter ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht Abkehr von christlicher Weltverantwortung bedeutet. Der Gläubige lebt zwischen Heimat und Heimatlosigkeit. Diese Spannung gilt es auszuhalten. In der Suche nach Heimat braucht er nicht krampfhaft an innerweltlichen Sicherungen festzuhalten. Er findet im Glauben seine Heimat jenseits der eigenen Möglichkeiten. Auch für uns gilt das Wort aus Jesaja (7,9): "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 44 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 31.10.2002

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