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Christlicher Glaube verliert an Bedeutung

5. Ökumenisches Forum an der TU Dresden

Dresden (tg) - Christlicher Glaube muss in einer Gesellschaft, in der die Kirchen an Bedeutung verlieren, nach Ansicht des Münsteraner Theologieprofessors Karl Gabriel deutlicher die ins Private abgedrängten Leidenserfahrungen der Menschen öffentlich zur Sprache bringen. Darin liege eine Zukunftschance des Christentums, sagte er auf dem inzwischen fünften Ökumenischen Forum an der Technischen Universität (TU) Dresden, zu dem die beiden Institute für evangelische und katholische Theologie eingeladen hatten. Die Kirchen müssten Vermittler sein, indem sie individuelle Erfahrungen in die "Erzähl- und Kommunikationsgemeinschaften" der Gemeinden tragen. Die Kirchen sollten seiner Ansicht nach zu Orten werden, "wo Menschen sich freiwillig zusammenfinden und über die Frage verständigen: Wie wollen wir zusammen leben?". Das Politische dürfe nicht allein den Politikern überlassen werden.

Durch Markt- und Machtsteuerung allein könne die Gesellschaft nicht überleben, so Gabriel. Das Leben müsse auch durch Solidarität von Familien und Gruppen getragen werden. Es komme darauf an, ein neues Gleichgewicht zwischen Markt, Staat und Solidarität zu finden. Aus ihrer Tradition heraus hätten Christen diese wichtige Praxis von solidarischem Eintreten für andere in die Gesellschaft einzubringen. "Vor allem für jene, die ökonomisch betrachtet scheinbar nichts zu bieten haben." In Abgrenzung zu reinem Eigennutz des Einzelnen lägen im Christentum "Chancen zu einem kooperativen Individualismus". Der Einzelne könne seine Identität und innere Einheit nicht ohne gelegentliches Nein-Sagen gegenüber den Zwängen der Marktgesellschaft bewahren. Im Glauben an Gott liege diese Kraft zur Distanzierung, so Gabriel.

Auf ihre religiöse Kompetenz allein dürfe sich die Kirche nicht beschränken. Gabriel betonte: "Wenn es ihr nur um den Glauben ginge, so wäre das ein weltloser Glaube." Zur religiösen gehöre auch die soziale Kompetenz. Hier, im sozialen Bereich, könne Kirche manches besser klären als andere Institutionen, weil "Langfristigkeit" zu ihrem Konzept gehöre.

Wenn eine Mehrheit im Osten Deutschlands keiner Kirche angehöre, so heiße das nicht, dass es sich dabei um Menschen ohne Wertebewusstsein handle, betonte Gabriel. "In manchen Bereichen, vor allem in der Familie und bei den Nachbarschafts-Beziehungen, ist das Wertebewusstsein im Osten sogar stärker als im Westen." Hier handle es sich um "alltagsorientiertes" Wertebewusstsein. Auch im "Alltagsatheismus" steckten humanistische Bezüge. "Die gilt es mit Religion in Beziehung zu bringen."

Nach Ansicht des katholischen Theologieprofessors Albert Franz von der Technischen Universität Dresden ist es an der Zeit, sich von der Idee zu verabschieden, durch herkömmliche Mission mehr Kirchenmitglieder gewinnen zu wollen. "Die Kirche muss vielmehr ihre Aufgabe darin sehen, den Menschen zu dienen, ihnen in ihren Ängsten zu helfen. "Je weniger die Kirche auf sich selbst schaut, desto größer wird ihre Chance, in der Gesellschaft wieder als wichtig wahrgenommen zu werden." Das werde zwar keine große Welle von Bekehrungen auslösen. "Es wird aber Nachdenkliche dazu bringen, den christlichen Glauben als Erfahrung anzunehmen und darin etwas Besseres zu erkennen als in den Angeboten auf dem Markt der neuen Religiositäten außerhalb der Kirchen." Dies sei eine Aufgabe, die nur in ökumenischer Zusammenarbeit der Kirchen zu lösen sei.

Roland Biewald, Professor für evangelische Theologie an der TU Dresden, sagte, Kirche müsse heute im Sinne Dietrich Bonhoeffers stärker denn je "Kirche für andere" sein. Sie müsse den Menschen bei den Grenzfragen wie Angst und Tod sowie bei ethischen Entscheidungen helfen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.01.2001

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