Die Konkurrenz schläft nicht
"Woran glaubt, wer nicht glaubt?" - Eine Diskussion in Halle
Halle (mh) -"Woran glaubt, wer nicht glaubt?" Diese Frage war Thema einer Diskussion am Reformationstag in Halle. Wer dabei auf eine umfassende Antwort gehofft hatte, wurde enttäuscht. Auch Horst Groschopp, Leiter der Humanistischen Akademie Berlin, den die Veranstalter -die Katholische Akademie des Bistums Magdeburg und die evangelische Marktkirchengemeinde Halle -als Vertreter der nicht Glaubenden eingeladen hatten, wollte sie nicht beantworten. Aber auch die Vertreter der Glaubenden auf dem Podium blieben bei der Antwort auf die Frage "Woran glaubt, wer glaubt?" bruchstückhaft. Dennoch bot die Veranstaltung Ansätze für ein Gespräch zwischen beiden Gruppen und Anregungen für das Handeln der Kirchen.
Voraussetzung für ein Gespräch ist für Groschopp zunächst die Überzeugung, "dass es keine nicht Glaubenden gibt". Es sei ein Irrtum der Religionen, dass Glaube den Glauben an ein höheres Wesen meine. Glaube sei stattdessen die bewusste Entscheidung für ein bestimmtes Bekenntnis. Für Groschopp heißt das Humanismus und: "Ich glaube, dass ich ohne Gott auskomme." Für ihn gelte deshalb: "Wir sind alle Glaubende, wenn auch verschiedener Konfession."
Unterschiede nicht verwischen
Der Leipziger Jesuit Bernd Knüfer, dessen Beruf sozusagen das Gespräch mit nicht Glaubenden ist, warnte davor, die Unterschiede zu verwischen. "Es ist ein Unterschied, ob ich an einen personalen Gott glaube oder an ein Auto oder einen Fußballverein." Ansatzpunkte für ein Gespräch mit nicht Glaubende gebe es. Radikale Weltverantwortung, Solidarität als hoher Wert oder die neuzeitliche Konzentration auf die menschliche Person nannte er als Beispiele. Aber die Mehrheit der nicht Glaubenden beschäftige sich mit solchen Fragen nicht.
Er glaube, dass man auch ohne Gott glücklich leben kann, unterstrich Groschopp. Wichtiger als die Frage nach Gott seien ihm deshalb die praktischen Fragen, denn: "Wir müssen uns hier und heute Rechenschaft abgeben. Ein Danach gibt es nicht." Auch Humanisten würden ethische Fragen "genauso ernsthaft und besonnen" diskutieren wie Christen. "Lassen Sie uns doch streiten über Patientenverfügung und Sterbehilfe!" Er hoffe, dass die Veranstaltung der Anfang vom Ende sei, den so genannten nicht Glaubenden ein "ethisches Manko" zu unterstellen.
Dass es den nicht Glaubenden nur um die praktischen Fragen gehe, konnte Hanna Haupt aus Halle nicht bestätigen. Bei ihrer Arbeit als Gefängnisseelsorgerin mache sie eine andere Erfahrung. Täglich habe sie mit nicht Glaubende zu tun, die Fragen stellten, die sich nicht rein pragmatisch beantworten ließen: Was ist mit meiner Schuld? Kann mir jemand vergeben? Welche Hoffnung habe ich?
Scharfe Kritik an Erfurter Trauerfeier
Auch die Humanisten hätten Antworten auf diese Fragen, meinte Groschopp, auch wenn er sie bei der Veranstaltung schuldig blieb. Er habe sich damit noch nicht beschäftigt, weil er kein Gefängnisseelsorger sei. In diesem Zusammenhang kritisierte Groschopp die Monopolstellung der Kirchen in Deutschland. Auch die Humanisten müssten ins Gefängnis, in die Kasernen oder in die Schulen gehen dürfen. Besonders scharf sprach sich Groschopp gegen die Monopolisierung des öffentlichen Trauerns durch Christen und Kirchen aus, wie es sich nach dem 11. September oder dem Erfurter Amoklauf gezeigt habe.
Aus Sicht der Konfessionslosen sei die Trauerfeier von Erfurt zu stark von den Kirchen dominiert gewesen, sagte auch der Theologe Andreas F../../incke von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Berlin). Die Kirchen würden aber aufgrund ihrer Größe und Tradition in solchen Situationen eine wichtige gesellschaftliche Funktion wahrnehmen. Noch hätten sie die besseren Orte und Rituale, aber angesichts der weltweit einmaligen Religionslosigkeit in Ostdeutschland müssten sich die Kirchen die Frage nach Konsequenzen stellen. Die Forderungen des Humanistischen Verbandes, ihm die gleichen Möglichkeiten wie den Kirchen einzuräumen, zeigten: "Die Konkurrenz schläft nicht."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 07.11.2002