Quelle und geistliche Heimat
Alltag im Marienwallfahrtsort Rosenthal
Freitagmittag, ein ganz normaler Werktag. 16 Opferkerzen brennen vor dem Hochaltar der Rosenthaler Wallfahrtskirche Maria Aufnahme in den Himmel. Im Zwielicht der Kirche kaum auszumachen, hängt dort das Gnadenbild aus dem 15. Jahrhundert, eine Madonna mit Kind. Zisterzienser, die in dieser Gegend missionierten, trugen häufig solche Statuen mit sich und stellten sie in den von den heidnischen Slawen verehrten Lindenbäumen auf, um den alten Aberglauben zu vertreiben.
Eine junge Frau unterbricht ihre Radwandertour, um einige Minuten in der Kirche haltzumachen. Ein älterer Herr zieht sich für eine halbe Stunde zum Gebet in eine der hinteren Kirchenbänke zurück. Beide entzünden zuvor am Opferstock eine Kerze. Der Mann schiebt sein Fahrrad anschließend noch hundert Meter weiter. Eine Treppe führt von dort einige Stufen hinab zur gefassten Gnadenquelle, die aus dem Sockel einer kleinen Kapelle herausplätschert. Er trinkt von dem Wasser, dem man Heilkraft unter anderem gegen Augenleiden nachsagt. Vor der Lourdesmadonna in einer Mauernische stehen mehrere frische Blumensträuße.
Eine dreiviertel Stunde nach dem Mann schöpft Anna Zschornack Wasser. Jede Woche kommt sie aus dem Nachbarort, um sich drei große Flaschen mit Rosenthaler Wasser abzufüllen. "Es schmeckt einfach viel besser als Leitungswasser, und es tut gut - ganz egal ob nun die Heilkraft des Wassers nachgewiesen ist oder nicht." Von weit her kommen Menschen, um sich Wasser aus Rosenthal zu holen, hat Anna Zschornack beobachtet, manche schöpfen gleich ganze Autoladungen voll. Die Sorbin kommt nicht nur wegen des Wassers in den Wallfahrtsort. "Rosenthal ist meine geistliche Heimat, ich lasse kaum eine Wallfahrt aus", erzählt sie. Sie wird bei der Bistumswallfahrt dabei sein und auch acht Tage später an der traditionellen sorbischen Wallfahrt zum Fest Maria Geburt teilnehmen.
Wie ihr geht es hunderten katholischen Sorben. Das ist auch dem Wechselburger Benediktinerpater Rupert Sarach bewusst, der seit April als Seelsorger für die Wallfahrtsstätte in Rosenthal lebt und von dort aus auch die Zisterzienserinnen von St. Marienstern und die Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Zeithain geistlich betreut. 2006 waren die beiden Zisterzienser gestorben, die Rosenthal jahrzehntelang betreut hatten. Platzhalter zu sein für Mönche, die "hoffentlich in zwei, drei Jahren" wieder an die zisterziensische Tradition in Rosenthal anknüpfen werden, fällt Pater Rupert allein schon wegen der engen geistigen Verwandtschaft der beiden Orden nicht schwer. Seine Zukunftshoffnung ist mehr als ein frommer Wunschtraum. Sie knüpft sich an Gespräche mit einem florierenden Zisterzienserkonvent in Österreich. Der Benediktiner ist derzeit Ansprechpartner für Pilger, die ein Seelsorgegespräch wünschen und feiert sonn- und werktags heilige Messen in der Klosterkirche.
"Drei noch so gute deutschsprachige Predigten können hier in Rosenthal eine halbwegs sorbisch gefeierte Liturgie nicht aufwiegen", ist dem Benediktinerpater schnell klar geworden. Im Selbststudium und mit Unterstützung eines Küsters, der ihn jeden Donnerstag eine halbe Stunde abhört, eignet sich der sprachbegabte 65-Jährige deshalb das Sorbische an: "An die feststehenden Teile der Werktagsgottesdienste wage ich mich schon heran, und sonntags versuche ich, das Evangelium auf Sorbisch zu verkünden." Katholischer Glaube und kulturelle Identität sei in der Gegend von Rosenthal, die zu 95 Prozent von Sorben bewohnt ist, eng miteinander verknüpft. In der traditionellen Frömmigkeit der Sorben sieht der gebürtige Oberschlesier ein beeindruckendes Potential: die Wallfahrten, zu denen sie bis aus Wittichenau und Ostro zu Fuß anreisen und dabei ihre Marienstatuen mitführen, die tiefe Inbrunst, mit der sie ihre gemütvollen Lieder singen ...
Von Dorothee Wanzek