"Unsere Kenianer"
Christliche Kenianer waren erneut Gäste in Bitterfeld / Die Lage in ihrer Heimat ist weiter schwierig
Als am vergangenen Sonntag zehntausende Läufer die 42,195 Kilometer des jährlichen Berlinmarathons zurücklegten und dabei an ihre Leistungsgrenzen stießen, schlug auch bei vielen Katholiken der Bitterfelder Herz- Jesu-Gemeinde der Puls schneller. Denn "ihre Kenianer", wie über Paul Muigai Thuo und Isaak Kiplagat Sang in ihrer zweiten Heimat liebevoll vereinnahmend gesprochen wird, liefen für Bitterfeld in Berlin. Doch so herzlich die beiden Christen zum zweiten Mal in der Gemeinde aufgenommen wurden, so unsicher ist die Situation in ihrer afrikanischen Heimat, in die sie am 29. September zurückgekehrt sind.
Knapp vier Wochen konnten die jungen Lauftalente in Mitteldeutschland, untergebracht im Gemeindehaus der Katholiken von Herz Jesu in Bitterfeld, Abstand gewinnen von der Krisensituation in Kenia und erstmals wieder ungestört trainieren. "Es ist schön, dass hier alle so friedlich miteinander leben", spricht der 25-jährige Thuo auf Englisch eine nur scheinbare Selbstverständlichkeit aus. "Hier fühle ich mich sicher", sagt der katholische Christ etwas nachdenklich und sein fünf Jahre älterer evangelischer Freund Sang fügt hinzu, dass sie hier auch schon viele Freunde gefunden hätten - besonders im Sportverein und in der katholischen Gemeinde.
"Für unsere Gemeinde sind sie eine echte Bereicherung", sagt Pfarrer Matthias Weise und denkt dabei unter anderem an die Gottesdienste, die Thuo und Sang regelmäßig besuchen. "Wenn sie fast tanzend durch die Gemeinde gehen, singen und klatschen, ist Bewegung drin. Kirche in Kenia ist schon etwas spontaner." Auch die Kenianer sind froh, die Messe mit fröhlichen afrikanischen Gesängen bereichern zu können. Ob sie das in der evangelischen oder katholischen Kirche tun, spielt für sie kaum eine Rolle. "Wir preisen alle den einen Gott", sagt Thuo angesichts der Konfessionsunterschiede.
Vom Rentnerkreis sind die jungen Sportler eingeladen worden, im Gymnasium haben sie den Sportunterricht und an der Euro- Schule täglich den Deutschunterricht besucht, außerdem waren sie in Leipzig, Dresden und Torgau. Zudem hätten sich Ärzte kostenlos um sie gekümmert, skizziert der Pfarrer ein Bild der Abwechslung und des Willkommenseins. "Wir fühlen uns hier wohl", bestätigt Paul Thuo seinem "Freund, Bruder und Betreuer", wie er Pfarrer Weise nennt.
Der sportliche Betreuer der beiden Kenianer, Peter Junge vom Bitterfelder Sportverein, kann über die physische und psychische Verfassung der jungen Läufer kaum klagen, was die ersten beiden Plätze für Thuo und Sang beim Mitteldeutschen Marathon Anfang September belegen. Bei allem Erfolg und aller Fröhlichkeit weiß aber auch er um die schwierige Situation in der afrikanischen Heimat. "Sie laufen nicht nur für sich", sagt der 64-Jährige, "sondern für ihre Familien, die sie unterstützen müssen."
Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Dezember vergangenen Jahres kam es zu gewalttätigen Unruhen in Kenia. Bei diesen war Thuos Haus angezündet und seine Familie von der Farm im Hochland von Eldoret im Westen Kenias vertrieben worden, wobei einer seiner Verwandten ums Leben kam. Auch Sangs Familie war von den Ausschreitungen nicht verschont geblieben, drei seiner Geschwister sind tot.
Junge und Weise war es zu verdanken, dass die beiden Kenianer Anfang des Jahres eine Zuflucht in Bitterfeld fanden und mit Hilfe des Bistums Magdeburg mehrere Monate Asyl erhielten. Doch bei ihrer Rückkehr nach Kenia im Mai hatte sich wenig verändert. Zwar habe Isaak Sang zu seiner Frau, seinem Kind und der weiteren Familie aufs Land zurückkehren können, aber wirklich sicher sei es dort noch nicht, so Matthias Weise.
Paul Thuo wollte ebenfalls mit seinen Geschwistern auf seine Farm zurückkehren, doch er wurde gewaltsam daran gehindert. Mittlerweile hat er die Hoffnung auf den Wiederaufbau seines Hauses aufgegeben. "Ich glaube nicht mehr daran, an diesen Ort zurückkehren zu können. Ich werde mit meiner Familie woanders eine neue Existenz aufbauen müssen", sagt der sonst meist fröhliche junge Mann mit bedächtiger Ruhe, ohne irgendeinen Zweifel daran aufkommen zu lassen. Die Lage hat sich gegenüber dem Jahresanfang nur wenig gebessert, nach wie vor muss die katholische Kirche viele Flüchtlinge unterstützen, die noch immer in Zelten leben.
Im Januar wollen Peter Junge und Pfarrer Matthias Weise nach Ostafrika fliegen, um "ihre Kenianer" zu besuchen. "Ich freue mich schon besonders auf die Kirchen", sagt der Pfarrer, der durch den Kontakt zu Peter Junge angefangen hat, Laufsport zu treiben. Beide wollen die Sportler weiterhin begleiten und natürlich spätestens im nächsten Mai zum heimischen Goitzsche-Marathon wieder in Bitterfeld begrüßen.