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Raum für lebendige Gemeinde

100 Jahre Leipziger Liebfrauenkirche - Intensive Prägung durch die Oratorianer

Leipzig. Dass die Leipziger Oratorianer wichtige Protagonisten der liturgischen Bewegung waren, weiß in der Lindenauer Liebfrauengemeinde wohl jeder Firmling. Wie weit ihre Vorreiter-Rolle reichte, hat während des 100. Kirchweihfestes selbst gestandene Gemeindemitglieder überrascht.

Auf großes Interesse stieß während des Kirchweihfestes die Jubiläumsausstellung mit zahlreichen Fotos zur Lindenauer Gemeindegeschichte, die Angelika Pohler zusammengestellt hatte. Höhepunkt des Jubiläums war eine Festmesse mit Bischof Reinelt am 28. September. Vorausgegangen war eine Lichtinstallation mit meditativen Texten und ein bunter Abend unter dem Motto

Der langjährige Direktor des Liturgiewissenschaftlichen Instituts in Münster, der emeritierte Professor Klemens Richter, ist in der Lindenauer Gemeinde aufgewachsen. In seinem Festvortrag "Kirche von Liebfrauen - Raum für eine lebendige Gemeinde" ging er am 27. September auf liturgische Neuerungen ein, die in Lindenau ihren Ausgang nahmen.

Zum Beispiel sei es den Oratorianern, die von 1930 an in Leipzig wirkten, ein Anliegen gewesen, das Osterfest als wichtigstes christliches Fest wieder in der Volksfrömmigkeit zu verankern. "Die Osterliturgie wurde zur damaligen Zeit am Karsamstagmorgen gefeiert und hatte sich überall zu einer reinen Klerikerliturgie entwickelt", erläuterte Richter. Pfarrer Theo Gunkel feierte zum ersten Mal 1931 mit rund 200 Lindenauer Gläubigen am Ostersonntag früh um halb fünf die Ostervigil. "Damit wurde hier Ostern weltweit erstmals so gefeiert, wie es Pius XII. zwanzig Jahre später für die Weltkirche einführte", sagte der Liturgiewissenschaftler und streifte nur am Rande seiner Rede die Widerstände, die den Neuerern damals entgegenschlugen.

Gottes- und Nächstenliebe eng verknüpft


Maßgebend war die Priestergemeinschaft auch in der Einführung deutschsprachiger Choralgesänge, die bald in ganz Deutschland aufgegriffen wurde. Die Lindenauer Werktagskapelle zählte zu den ersten deutschen Kirchenräumen, in denen der Altar ins Zentrum gerückt wurde. Als Berater beim Zweiten Vatikanischen Konzil habe sich der Oratorianer Josef Gülden unter anderem für die Wiedereinführung der Fürbitten in das katholische Messritual eingesetzt.

Ein wichtiges Anliegen sei es der Priestergemeinschaft gewesen, die enge Zusammengehörigkeit von Gottes- und Nächstenliebe zu betonen, legte Professor Richter dar. So führten sie etwa einen monatlichen "Opfergang der Liebe" ein, bei dem alle Gläubigen Geld oder Naturalien für Bedürftige zur Gabenbereitung nach vorn brachten.

Aus dem Glauben heraus in die Gesellschaft wirken


Dass der Glaube sich auf gesellschaftliches Handeln auswirken müsse, hätten die Oratorianer in vielfältiger Weise vorgelebt, bescheinigte Klemens Richter den Priestern. Er erinnerte daran, dass in der Nazizeit im Lindenauer Pfarrhaus Juden und ein zum Tode verurteilter Soldat versteckt waren. Ihre Sorge für Arme, Kranke und Verfolgte innerhalb der Gemeinde und darüber hinaus habe ein Klima der Bruderliebe geprägt. Auch das Engagement für den 1951 gegründeten St.-Benno- Verlag nannte der Professor in diesem Zusammenhang. Dass sich die Lindenauer Gemeinde 1989 in der Friedensbewegung engagiert habe und dass heute im dortigen Pfarrhaus die ostdeutsche Pax- Christi-Zentrale beheimatet ist, sei kein Zufall.

Als bemerkenswert hob Klemens Richter auch hervor, dass im Zuge des Konzils bei den Oratorianern keinerlei Triumpfgefühle aufgekommen seien. Josef Gülden habe noch in den 80er Jahren bemerkt, man sei mit der liturgischen Bewegung noch immer am Anfang. Der entscheidende Wandel der Mentalität sei in Deutschland noch nicht vollzogen.

Richter sprach sich dafür aus, im Geist der Pioniere der liturgischen Bewegung heute manche neuen Schritte zu wagen.

Von Dorothee Wanzek



Zeittafel

1898 Einweihung der III. Katholischen Bürgerschule in der heutigen Engertstraße

1903 Errichtung der katholischen Expositur Leipzig-Plagwitz

1904 Erhebung zur Pfarrei Mariä Himmelfahrt

1908 Weihe der neu errichteten Kirche

1830 Gründung des Leipziger Oratoriums des Heiligen Philipp Ner

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