Saatfeld Eisenbahnstraße

Die Dominikanerinnen von Bethanien im Leipziger Osten

Leipzig. Dönerbuden und leere Schaufenster prägen das Bild in der Leipziger Eisenbahnstraße. Vor zweieinhalb Jahren sind die Dominikanerinnen von Bethanien ganz bewusst in diese Wohngegend gezogen.

Aus ganz Leipzig kommen die Kinder, die bei Schwester Hellena an der musikalischen Früherziehung, am Flöten- oder Klavierunterricht teilnehmen. Die Schwestern mieteten zwei nebeneinander liegende Ladenlokale und errichteten dort das Begegnungscafé "Treff.komm" und das Musikunterrichts-Kabinett "La Taste". Im Stockwerk darüber liegt die Wohnung der sechs Ordensfrauen. "Wir wollten das Leben der Menschen im Leipziger Osten teilen", sagt Schwester Angela Hennes, die Priorin des kleinen Konvents. Wie mühselig es sein würde, hier Kontakte zu knüpfen, hätten sie anfangs nicht vermutet. "Viele haben Scheu, weil sie nicht wissen, wie sie uns einordnen sollen, manche halten uns gar für eine Sekte", weiß sie aus Gesprächen mit Nachbarn, die im Laufe der Zeit dann aber doch "aufgetaut" sind - so wie die ältere Dame, die mit einer der Schwestern die Liebe zu Grünpflanzen teilt.

"Mit klassischem Musikunterricht können wir die Kinder hier in der Nachbarschaft kaum erreichen", wird für Schwester Hellena immer deutlicher. Unter ihren Flöten- und Klavierschülern sind kaum Kinder aus der Eisenbahnstraße. Die Dominikanerinnen sind gerade dabei zu überlegen, was sie für diese Kinder anbieten können, die zwar immer wieder gerne gucken kommen und eine Runde "Krach machen", die aber kaum Geduld zum Üben mitbringen. Die meisten der Leipziger Ordensfrauen haben eine Zeit lang in Kinderdörfern der Kongregation gearbeitet. Diese Erfahrung kommt ihnen auch im Leipziger Osten zugute. "Manche Kinder hier sind ganz absorbiert vom Überlebenskampf. Sie sprechen wenig, sind aber voller Aggressionen. Es kam auch schon vor, dass sie hier Kleinere mit Pistolen bedroht haben", haben die Schwestern beobachtet. Schwester Hellena Jung hält Ausschau nach Musiktherapeuten und Trommellehrern, die mithelfen könnten, bei diesen Kindern positive Kräfte zu wecken.

Zu einem zehnjährigen Nachbarsmädchen haben die Ordensfrauen schon vor einiger Zeit eine intensive Beziehung gefunden. Sie kommt zum Flötenunterricht. Schwestern organisierten eine Nachhilfelehrerin und laden sie häufiger mit anderen Kindern zum Spielen oder zum Kochen und Backen ein. Zunehmend interessiert sich das Kind auch für das geistlichen Leben der Dominikanerinnen. Unter anderem haben sie sie zu Religiösen Kinderwochen mitgenommen und - weil sie das unbedingt wollte - zur Osternachtsliturgie. "Das war für sie sehr faszinierend, allein schon, weil sie zum ersten Mal einen Chor und ein Orchester erlebt hat", erzählt Schwester Angela. Sie erwartet nicht, dass im Leben der Menschen, derer sie sich annehmen, von heute auf morgen alles anders wird. "Aber sie erleben wenigstens einmal, dass es auch anderes gibt als das, was ihr Leben sonst ausmacht.

Dieser Gedanke bewegt sie auch im Umgang mit drei Familien, an die sie Lebensmittelspenden verteilen, die sie von der Bahnhofsmission bekommen. Die Schwestern versuchen, alle positiven Impulse aufzugreifen und zu stärken, die von diesen Familien ausgehen. Wenn Kinder leiden, kommen sie zwar auch nicht umhin, das Jugendamt einzuschalten, doch in erster Linie geht es ihnen darum, das Vertrauen der Familien zu gewinnen. Beispielsweise fiel einer Frau ein, dass sie früher einmal nähen gelernt hat. Mittlerweile pflegt sie dieses Talent wieder. Eine andere Mutter, die die Schwestern anfangs nur mit traurig versteinertem Gesichtsausdruck erlebt haben, fängt an, zu ihrem Kleinkind Blickkontakt aufzunehmen und liebevoll mit ihm zu sprechen. Die Kleidung, aus der das Kind herausgewachsen ist, wäscht sie und gibt sie anderen Bedürftigen weiter - eine Verhaltensweise, die ihr noch vor einigen Monaten nicht in den Sinn gekommen wäre.

Die Schwestern beteiligen sich an ehrenamtlichen Aufräumaktionen im Stadtteil und motivieren andere zum Mittun. Ihr arbeitsloser Nachbar beispielsweise mäht nun regelmäßig die Wiese auf dem unbebauten Grundstück gegenüber, das noch vor einigen Monaten ein wilder Müll-Abladeplatz war. Im Veranstaltungskalender "Ostlichter" finden sich neben den Angeboten anderer Vereine und Einrichtungen des Stadtteils auch manche kulturelle Angebote der Dominikanerinnen.

Über Gott reden kann man mit den Menschen erst, wenn sie satt sind, sieht Schwester Angela in der Eisenbahnstraße bestätigt. Nahrung, Kleidung, Spielzeug, Sauberkeit - nichts davon sei für viele dort selbstverständlich. Die Entbehrungen lassen kaum Raum für andere Gedanken. Die Gelegenheiten, die sich bieten, religiöse Akzente zu setzen, nutzen die Schwestern dennoch. Schwester Helga beispielsweise besucht regelmäßig den nahe gelegenen Kindergarten und erzählt dort mit Erzählfiguren Geschichten aus der Bibel. Ihre Figuren kommen auch zum Einsatz, wenn der Konvent alle Interessierten einlädt, den Heiligen Abend gemeinsam zu feiern. Im vergangenen Jahr fand bei den Dominikanerinnen auch ein Nikolausfest statt, und Schwester Angela schlüpfte vor Kindern, denen bis dahin allenfalls der Weihnachtsmann ein Begriff war, in das Kostüm des Heiligen. "Ich glaube, ich bin auch mal getauft worden", beginnt das eine oder andere Gespräch im Begegnungscafé "Treff. komm". Jüngste Gelegenheit, über Gott und Glauben ins Gespräch zu kommen, war die Professfeier von Schwester Hellena, zu der viele eingeladen waren. "Das ist so wie heiraten", hatte die Schwester einem Atheisten erklärt.

In der Wohnung der Ordensfrauen hängt ein Bild Vincent van Goghs, das einen Sämann zeigt. "Es geht uns wie ihm", sagt Schwester Angela. "Wohin unsere Saat fällt und was daraus werden wird, wissen wir nicht."

Von Dorothee Wanzek

Nachtrag aus dem Jahr 2014: Die Dominikanerinnen haben im Frühjahr 2014 ihre Niederlassung in der Leipziger Eisenbahnstraße aufgegeben.