"Ich bin dann mal weg"
Pilgern ist Beten mit dem Körper
Immer wieder kommen zu unserer Kontaktstelle Pilgerinnen und Pilger. Ich erkenne sie sofort: freundlich, meist durstig, einen schweren Rucksack auf dem Rücken, Hut oder Mütze auf dem Kopf, die Wasserflasche griffbereit. Meist sind sie auf ganz spezielle Weise braungebrannt: braune Arme und Beine - aber ganz weiße Füße.
Die Pilger gehen von Görlitz durch Sachsen und Sachsen-Anhalt nach Vacha. Dieser berühmte mittelalterliche Handelsweg - die via regia - wurde von Historikern rekonstruiert und dann in liebevoller Arbeit von Pilgerfreunden mit der gelben Muschel auf blauem Grund beschildert. Er nennt sich Ökumenischer Pilgerweg. Und tatsächlich sind auf diesem Weg wirklich alle Menschen willkommen.
Die Pilger, die die Kontaktstelle aufsuchen, strahlen in der Regel eine große Gelassenheit und innere Freude aus. Wenn wir sie dann bei ihrer Suche nach einer Übernachtung unterstützen und bei den angegebenen Stellen anrufen, sind die Pilger meist die Ruhe selbst: Wenn es beim ersten Quartier nicht klappt, ruft man eben das zweite und dritte an. Bei Absagen werden sie nicht zornig und ärgerlich, sondern probieren es unverdrossen so lange, bis sie eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden haben. Meist ist das Einzige, was sie unbedingt wollen, unser Stempelabdruck für den Pilgerausweis.
Auch in anderen Dingen sind die Pilger unkompliziert und flexibel. Bereitwillig erzählen sie von ihren Erlebnissen. Wenn wir ihnen etwas zu trinken oder zu essen anbieten, sind sie dankbar.
Das Buch "Ich bin dann mal weg" von Harpe Kerkeling hat sicherlich zum Pilgerboom beigetragen. Doch insgesamt meine ich, dass Pilgern deshalb so in Mode ist, weil es eine Möglichkeit bietet, mit dem Körper (und natürlich auch mit dem Geist und der Seele) eine spirituelle Erfahrung zu machen. Viele Menschen suchen - gerade in einer Gesellschaft, die den Körper im Berufsleben oft zum Still-Sitzen zwingt - eine Möglichkeit, "ganzheitlich" etwas zu erleben. Dazu bietet eine Pilgerwanderung die besten Voraussetzungen.
Viele nutzen auch die Möglichkeit des "Samstagspilgerns": Sie pilgern einmal im Monat. Dieses Unterwegssein wird für sie zum Bild für ihr Leben: Auf unterschiedlichen Wegen sind wir unterwegs zu einem Ziel, wir erreichen vorläufige Ziele und müssen uns dennoch immer wieder neu auf den Weg machen.
Sr. Susanne Schneider,
Missionarinnen Christi, Kontaktstelle Orientierung Leipzig