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Predigt auf dem Barhocker

Dresdner Projektteam gestaltet Gottesdienste für Kirchenferne

Dresden. Ein rundlicher Engel steht gewichtig inmitten von Kartons und Plunder. Schon hat sich eine lange Schlange vor der "Sorgenabladestelle" gebildet.

Ein kleines Theaterstück gehört zu jedem Golife- Gottesdienst. Beim jüngsten Golife spielte es in der

Eine Frau will ihre Krücken loswerden, eine andere ihre Schwiegermutter, ein Mann hält es mit seinem lichter werdenden Haupthaar nicht mehr aus. Die Bedingung der Abladestelle: Jeder, der eine Sorge bringt, muss eine andere mitnehmen. Am Ende des kurzen Theaterstückes sind sich alle Charaktere einig. Im Vergleich zu all dem anderen Elend ist das eigene Leid doch erträglich.

Anspiele wie dieses sind in Gottesdiensten heute nichts Besonderes mehr, aber das Konzept des Dresdner Golife-Projektes geht noch weiter. Golife, darin stecken die englischen Wörter "go" - "gehen" und "life" - "Leben" und auch viel von dem, was die Veranstalter dieser Gottesdienste wollen. Fortschrittlich und lebensnah sollen Menschen, die sonst nie oder selten in die Kirche gehen oder mit ihr noch gar nicht in Berührung gekommen sind, an die Botschaften Gottes herangeführt werden. Eine Band mit bekannten Liedern im Repertoire, Theaterstücke, Interviews mit Glaubenszeugen und anonym auf Zettel geschriebene Gebete sollen die Besucher dort abholen, wo sie sind, und ihnen die Angst nehmen, etwas falsch zu machen. An den Vorbereitungen des Projektes der evangelischen Gemeinden Leubnitz-Neuostra und Prohlis beteiligen sich ehrenamtlich Katholiken und Protestanten gemeinsam. Veranstaltungsorte sind nicht Kirchen, sondern andere, mit vermeintlich weniger Befangenheit besetzte öffentliche Räume. Bei Projektbeginn im Jahr 2001 kamen die Besucher noch in den Dresdner Zoo. Jetzt lädt das Golife-Team in das Theater "Wechselbad".

An einem Sonntagabend Anfang Oktober sind die Ränge des Theatersaals locker gefüllt. Etwa 200 Zuhörer sitzen im Dunkeln. Eine Mutter stillt ihr Kind, ein Mann in Trainingsjacke hat seinen Proviant neben sich aufgebaut und löffelt Quark aus einem Plastikbecher. Doch alle blicken aufmerksam zum Lichtkegel auf der Bühne. An einem hohen Tisch hat Pfarrer Dr. Bernhard Dittrich aus Meißen auf einem Barhocker Platz genommen. Als erster katholischer Geistlicher hat der 60-Jährige sich zu einer Predigt während eines Golife-Gottesdienstes bereit erklärt. Thema ist dieses Mal "Dein Leid geht mich an".

Es sei gar nicht so einfach, Prediger für diese Aufgabe zu finden, sagt Projektleiter Manfred Höntsch. Zum einen wegen des Zeitaufwands: "Wir treffen uns dreimal vor dem Gottesdienst mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin, um die Predigt zu besprechen", so Höntsch. Doch die Kritik anzunehmen, falle einigen Geistlichen schwer. Pfarrer Dittrich hingegen hat damit kein Problem. "Ein vorheriges Feedback schadet doch niemandem, selbst wenn man wie ich seit 30 Jahren im Dienst ist", sagt er. "Besonders, weil ich die Zielgruppe vorher nicht kannte." Und die ist tatsächlich breit gestreut. Im Schnitt gehen ungefähr ein Drittel aller Golife-Besucher höchstens dreimal im Jahr zum üblichen Gemeindegottesdienst, elf Prozent tun dies gar nicht. Mehr als die Hälfte kommt mehrmals zu den Golife-Gottesdiensten. Ein Drittel der Menschen sind jeweils zum ersten Mal dabei.

Was Pfarrer Dittrich jedoch in seinen 30 Jahren Priesterdasein nicht erlebt hat, ist das "Kreuzverhör". Im Anschluss an die Predigt können die Golife-Besucher Fragen an den Geistlichen auf einen Zettel schreiben, die dieser dann innerhalb von 60 Sekunden beantworten muss. Ist das Schlechte auf der Welt allein das Werk des Menschen? Werde ich verurteilt, wenn ich sterbe, weil ich einem Menschen Leid zugefügt habe? "Bei nur einer Minute Zeit für jede Antwort kann ich mich schon angreifbar machen", sagt Dittrich. "Aber die vielen Reaktionen auf die Predigt haben mich sehr erstaunt und gefreut." Ein Predigtgespräch nach der Messe könne er sich auch in seiner Gemeinde vorstellen.

Noch bis April sollen fünf weitere Golife-Abende folgen. Nächster Termin ist am 2. November um 19 Uhr zum Thema "Gottes liebstes Kind: Amerika".

Von Katharina Handy

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