Jenseits der Kirchenmauern
Bischof auf Visitation in Halberstadt / Besuch in zwei Betrieben und der Mendelssohn-Akademie
Zu seiner ersten Visitation in den Gemeindeverbünden seines Bistums reiste Bischof Gerhard Feige am vergangenen Wochenende nach Halberstadt. Gegenüber dem Tag des Herrn verdeutlichte der Bischof, dass er so das Leben der jeweiligen Gemeinde und der dort angesiedelten kirchlichen Einrichtungen intensiver kennenlernt. Er möchte mit allen nach weiterführenden Wegen für die nächste Zeit suchen. Doch in Halberstadt war Feige nicht nur im Heim St. Josef, bei der Schwesternschaft und in einer katholischen Kindereinrichtung zu Gast, sondern er besuchte auch zwei wichtige Unternehmen der Stadt. Neben der Halberstädter Würstchen- und Konservenfabrik stattete er der HA2-Medizintechnik GmbH einen Besuch ab, die eine der modernsten Gassterilisationsanlagen Europas betreibt.
"Es ist mir ein großes Anliegen, unsere Kirche auch jenseits der Kirchenmauer noch etwas öffentlicher und bekannter zu machen." Bei HA2-Betriebsleiter Sven Kaiser brauchte er das nicht. Zählt der dynamische Mittvierziger doch zu den Stützen der Halberstädter Gemeinde, wie Ortspfarrer Norbert Sommer betonte. Schmunzelnd meinte Kaiser, dass es nicht alle Tage vorkomme, dass die Medizintechnik- Firma im Halberstädter Gewerbegebiet geistlichen Besuch bekäme. "Zu uns kommt man meist zum Auditieren, eine Visitation erleben wir zum ersten Mal." So erläuterte er, dass die Firma ein großes Spektrum an Einwegbedarf für Krankenhäuser herstelle und Produkte namhafter Medizintechnikfirmen hier mittels Ethylenoxid sterilisiert werden. Anlagen dieser Größenordnung gäbe es in Deutschland nur drei. Das Produktionsspektrum reicht von Einwegprodukten wie Bakterien- und Virenfiltern bis zu Trachealkanülen für den HNO-Bereich. Die Firma, die zur heimischen Primed-Unternehmensgruppe gehört, erfülle höchste Hygienestandards, die in einem eigenen mikrobiologischen Labor überwacht werden. "Jedem Mitarbeiter vermitteln wir, dass er auch einmal als Patient auf reine Medizinprodukte angewiesen sein könnte."
Der Bischof interessierte sich besonders für die Ausbildung und die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, was ein zunehmend wichtiges Thema in der Gesellschaft sei. Sven Kaiser verwies auf die insgesamt rund 40 Auszubildenden in verschiedenen Berufen, die in der Firmengruppe eine Zukunft hätten und "keine billigen Arbeitskräfte sind". Schade sei nur, dass die angebotenen Ausbildungsplätze 2008 nicht alle besetzt werden konnten. In puncto Familienfreundlichkeit sei das Unternehmen keineswegs ein Bremsschuh, sondern in Halberstadt durchaus Vordenker. "Familienfreundlichkeit fängt aber bei Lösungen für Eltern an, die beide hier im Schichtdienst arbeiten. Schließlich arbeiten wir hier 360 Tage im Jahr rund um die Uhr. Wir verwehren es auch niemandem, entsprechend den betrieblichen Möglichkeiten verkürzt bei uns zu arbeiten." So zeigten sich Gerhard Feige und seine Begleitung beeindruckt, was sich hinter den Türen des modernen Medizintechnikunternehmens tut. "Es ist schon etwas anderes als ich aus dem UTP-Unterricht in der DDR kenne. Es freut mich immer, wenn den Menschen Arbeit gegeben wird und solche Unternehmen wie HA2 ihnen eine Zukunft bieten."
Am Sonntag folgte Bischof Feige einer Einladung von Jutta Dick, Direktorin der Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt, in ihre Einrichtung. Sie berichtete beim Rundgang durch die Klaussynagoge und das Berend Lehmann Museum für jüdische Geschichte, dass die jüdische Vergangenheit in Halberstadt immer spürbarer werde. "Inzwischen ist das ganze Gebäudeensemble von Klaussynagoge, Kantorenhaus und Mikwenhaus im ehemaligen jüdischen Viertel in der Unterstadt restauriert, und es stellt heute einen markanten städtischen Ort dar." 1933 gab es 706 jüdische Bürger in Halberstadt, die Zahl ging bis 1939 auf 235 zurück, die letzten deportierten die NS-Machthaber am 12. April und im November 1942.
Die Halberstädter Barocksynagoge in der Bakenstraße 56 wurde am 9. November 1938, als überall in Deutschland jüdische Gotteshäuser und Geschäfte brannten, beschädigt. Thorarollen flogen über die Altstadtstraßen. Aus Angst um die historische Fachwerksubstanz in der Nachbarschaft steckte die antisemitische Meute die Synagoge jedoch nicht in Brand. Die jüdische Gemeinde musste die Synagoge auf Weisung der Halberstädter Baupolizei ab Ende November 1938 auf eigene Kosten abtragen.
Von Uwe Kraus