Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Tatort: Die Vaterunsergasse

Unser Navigationssystem ist das Gebet

Mit der Hilfe eines Fotos, auf dem das Straßenschild "Vaterunsergasse" zu sehen ist, macht sich Guido Erbrich auf eine kriminalistische Spurensuche nach den Wegen, die Christen gehen.
Letzte Woche bekam ich von einer Krimiautorin ein Foto geschickt. Ob sie es als Fahndungsfoto geschickt hat, weiß ich nicht. Aber ich lade Sie, liebe Leser dazu ein, kriminalistisch auf Spurensuche zu gehen.

Wie viele Indizien, die es in einem Kriminalfall gibt, scheint es erstmal unspektakulär. Es ist ein Straßenschild mit der Beschriftung "Vaterunsergasse".

Die klassischen Kommissare, die ich aus Büchern und dem Fernsehen kenne, beginnen jetzt mit dem Fragen: Wer, wie, was, warum, wohin …

Also los: Wer ist der Vater? Als gute Christen haben wir es hier leicht. Gott ist natürlich gemeint, unser Vater. Und da wir schlaue Polizeibeamte sind, wissen wir natürlich auch gleich, dass das Vaterunser die Mutter der Gebete ist. Das Gebet, das Jesus seinen Jüngern lehrte, als sie nicht weiter wussten und ihn baten "Herr lehre uns beten".

Von hier aus können wir den Fall jetzt einkreisen. Was meint Gasse? Ist das Beten des "Vaterunser" eine "enge" Angelegenheit? Etwas, das keine Weite zulässt? Manche Mitchristen machen ja durchaus den Eindruck, dass sie ganz genau wissen, wie Frommsein zu funktionieren hat. Sicher sind diese in einer schmalen Vaterunsergasse ganz gut aufgehoben. Die Gasse vermittelt Sicherheit und Überblick, denn sie ist recht kurz und eng genug, um nicht durcheinander gebracht zu werden.

Nun fragt der richtige Kriminalist weiter. Wieso Gasse? Eine Gasse soll ja auch zu etwas gut sein und siehe da, der Zweck der Gasse ist, dass Menschen hindurch gehen können, dass die Menschen, die darin wohnen heraus kommen aus ihren Häusern. Die schmale enge Gasse verbindet ihre Bewohner mit der Welt. Die Gasse ist zwar eng und klein, aber sie führt hinaus ins Weite.

Jetzt kommt der schlaue Kriminalist der Lösung des Falles näher. Wer sich auf dem Weg zu einem Ziel macht, merkt schnell, er muss die kleine Gasse, die er bewohnt, hinter sich lassen. Weiter geht es auf breiteren und ausgefahrenen Straßen. Das ist allerdings unsicherer. Meist geht es da schneller, hektischer zu. Es ist nicht viel Zeit für Beschaulichkeit. Dafür sind viele unterwegs. Und wer offen für Begegnungen ist, wird nicht lange allein gehen müssen. Von der Vaterunsergasse geht es so auf die Vaterunserallee, auf die Vaterunserschnellstraße und die Vaterunser-ICE-Strecke - und selbst das ist nun schon viel zu klein gedacht. Was ist das Ziel, grübelt unser Kommissar weiter und verfolgt andere Spuren. Und so stellt er fest: Wenn das Ziel in die Nähe rückt, werden die Straßen und Wege immer kleiner und zum Schluss, kurz vor dem Ziel, geht es wieder in eine Gasse hinein. Eine Tür öffnet sich und ein liebender Vater steht mit seinen ausgestreckten Armen im Hauseingang.

Jetzt wird über die Reise geredet. Der Vater wird fragen, wo die Reisenden herkommen, welche engen Wege sie gegangen sind, welche Wege ins Weite führten und wie sie zum Schluss die kleine Gasse entdeckt haben, in der er wohnt. Und dann werden die Reisenden eingelassen, und siehe da, das Haus hat viele Wohnungen und ganz unterschiedliche Menschen wohnen schon darin.

Der Kommissar hat seinen Fall gelöst und tippt seinen Bericht: Das Ziel ist der Vater und das Navigationssystem ist das Gebet. Frömmigkeit ist alles andere als eng, sie ist keine Sackgasse. Richtig verstanden führt sie durch die Weiten der Welt um überraschend zum Ziel zu führen.

"Fall gelöst - Gute Reise" verabschiedet sich der Kommissar. Und lässt schnell die Gasse hinter sich, denn der Weg ist weit.

Guido Erbrich, Bautzen

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps