"Reibebaum bleiben"
Die Pubertät, der Glaube und die Eltern - Ein Abend mit Professor Albert Biesinger
Sie wollen Eltern anregen, die Jahre mit jugendlichen Kindern als Chance und Bereicherung wahrzunehmen, heißt es in der Ankündigung Ihrer Dresdner Veranstaltung. "Das klingt fast zu schön, um wahr werden zu können", werden manche Eltern nun womöglich denken. Was kann denn an der Pubertät bereichernd sein?
Pubertät ist ein sehr komplexer und umfassender Umbauprozess. Eltern sollten großes Interesse daran haben, dass sich auch der Glaube "häutet", damit ihre Kinder zu einem reiferen, erwachsenen Glauben finden können. Wer Heranwachsende in diesem spannenden Prozess begleiten will, der wird sich dabei zwangsläufig neu mit seinem eigenen Glauben auseinandersetzen. Bei neueren wissenschaftlichen Untersuchungen mit Elektotomografen und Echoloten hat man übrigens herausgefunden, dass die Gehirnzellen sich bei Pubertierenden in einem ähnlichen Zustand befinden wie bei einer Entzündung. Das zu wissen, kann Eltern entspannen und ihnen helfen, nicht alles persönlich zu nehmen. Zugeschlagene Türen und andere alterstypische Verhaltensweisen sind mit dieser "Gehirnentzündung" zu erklären.
Welche Rolle können die Eltern im "pubertären Umbauprozess" spielen?
Sie sollten in dieser Zeit "Reibebaum" bleiben und Stabilität vermitteln. Jugendliche brauchen für ihre Entwicklung Erwachsene, die entschieden sind und klare Vorstellungen haben.
Was raten Sie Eltern, die dies in der religiösen Erziehung gern tun würden, sich aber damit überfordert fühlen - beispielsweise, weil sie sich ihres eigenen Glaubens unsicher sind und selbst noch gar nicht zu einem erwachsenen Glauben gefunden haben?
Denen würde ich das gleiche raten, was ich auch Eltern kleinerer Kinder sage: Sich nicht selbst unter Druck setzen. Man kann durchaus gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen den Glauben lernen. Man kann auch gemeinsam mit den Jugendlichen Gott entgegenzweifeln. Man muss nicht all ihre Fragen beantworten können. Es ist okay, das zu sagen, was man versteht, und so, wie man es versteht. Man kann mit ihnen diskutieren, sie hinterfragen. Den Jungen beispielsweise, der die Existenz Gottes beweifelt, kann man fragen: "Woher weißt du aber so genau, dass es Gott nicht gibt? Vor dreihundert Jahren konnte man die Gene auch noch nicht sehen ..." Bei Jugendlichen scheint es mir zudem immens wichtig, sich Unterstützung zu holen. Eltern allein reichen als Ansprechpartner nicht aus. Es ist sinnvoll, die Jugendlichen in Kontakt zu bringen mit anderen christlichen Erwachsenen und mit einer Jugendgruppe, damit sie über bestimmte Themen auch auf Augenhöhe sprechen können.
Das ist bei Ihnen in Tübingen sicher einfacher als in unseren Breiten. In vielen Gemeinden sucht man Ansprechpartner für Jugendliche vergebens ...
Sicherlich müssen Familien in Ostdeutschland dafür weitere Wege in Kauf nehmen. Angebote für Jugendliche gibt es aber auch hier: Besinnungstage in Jugendhäusern beispielsweise, Firmcamps, Fahrten nach Taizé ... Bei derartigen erlebnisorientierten Veranstaltungen lernen Heranwachsende unterschiedliche Formen kennen, altersgemäß den Glauben zu praktizieren, und erfahren Sinnorientierung. Vieles kann auch während der Sommerferien geschehen. Nicht überall wird es gelingen, dass Jugendliche während der Schulzeit regelmäßig an einer Jugendgruppe teilnehmen können.
Sie haben Glaubenszweifel angesprochen. Haben Erzieher Einfluss darauf, ob der Zweifel den Heranwachsenden am Ende zu einem gereiften Glauben führt oder dazu, den Glauben über Bord zu werfen?
Beides kann herauskommen. Im Griff hat man das nicht. Mir war es bei meinen vier Kindern wichtig, ein starker Gesprächspartner zu sein und über zweifelnde Fragen immer im Gespräch zu bleiben. Der Gesprächsfaden darf nicht abreißen.
Das klingt gut. Was aber, wenn die Eltern als Gesprächspartner gar nicht mehr gefragt sind?
Nicht warten, bis die Kinder kommen und reden wollen, sondern selber Themen setzen, sie immer wieder in Gespräche verwickeln, mitunter auch mal unter vier Augen. Es ist hilfreich, die wichtigsten Fragen zu kennen, die für jeden eine Rolle spielen, der religiös durch die Pubertät kommen will: Woher kommt die Welt? Gibt es Gott wirklich? Wie kann ich ihn im Alltag spüren? Warum lässt er das Leid zu? Was wird aus mir, wenn ich sterbe?
Zum Schluss ein Beispiel aus dem Leben: Angenommen, Ihre pubertierenden Kinder hätten zu Ihnen gesagt: Ab sofort gehe ich sonntags nicht mehr mit in den Gottesdienst, weil mir das einfach zu langweilig ist. Was hätten Sie geantwortet?
Die Pubertät ist ja die Zeit, in der man die Nabelschnur langsam lockern muss. Die Jugendlichen brauchen klare Grenzen, sie brauchen auf der anderen Seite aber auch Gelegenheiten, den Aufstand proben zu können. Ich habe meinen Kindern zum Beispiel gesagt: Du darfst mit 14 Jahren nicht bis um Mitternacht ausgehen. Der Verweis auf die Nachbarkinder hat mich da völlig ungerührt gelassen: "Wenn du das willst, check dich bei den Nachbarn ein. In unserer Familie ist das anders." Wir haben dann mit den Kindern eine vernünftige Heimkehrzeit ausgehandelt. Im Nachhinein sind uns die Kinder dankbar für solch klare Haltungen. In Ihrem Beispielfall hätte ich sicher eine Kompromisslösung ausgehandelt, zum Beispiel, dass nur an bestimmten Sonntagen die ganze Familie zum Gottesdienst gehen muss. Ich hätte zudem nach geeigneten Jugendgottesdiensten gesucht. Wichtig war mir, als unsere Kinder in diesem Alter waren, dass sie den Kontakt zur Kirche behalten. Ihnen in dieser Frage ganz nachzugeben, wäre ein falsches Signal. Sie würden daraus schließen, dass der Gottesdienst dem Vater nicht so wichtig ist.
Professor Albert Biesinger spricht am 20. November um 19.30 Uhr im Dresdner St.-Benno-Gynasium zum Thema "Wer heute die Augen schließt, wird morgen große Augen machen - Warum Werteerziehung und religiöse Bildung zukunftsfähig machen".
Von Dorothee Wanzek