Anstoß
Über Gott und die Welt
Für alle, die auf der Suche nach besseren Bedingungen für das Gebet sind, hat Dominikaterpater Bernhard Kohl einen Hinweis von Meister Eckhart parat, der sagt: "Gott ist gleicherweise in allen Dingen
und an allen Stätten."
Der große Mystiker des Dominikanerordens Meister Eckhart (1260-1328) fragte sich, wie ein Mensch leben soll, um die ständige Anwesenheit Gottes in der Seele zu gewinnen, oder besser: die ständige Anwesenheit der Seele in Gott. Er fand auch eine Antwort auf diese Frage: Ein Mensch sollte lernen "innen" zu leben, aus dem Seelengrund, wo Gott wohnt. Eckhart ging es darum, Gott nicht auf eine bestimmte Weise zu suchen, denn alle Weisen haben etwas gemeinsam: Es sind Versuche außerhalb von uns, in unserer Umgebung, in Personen, in unseren Gefühlen, unseren Ängsten, unseren Gewohnheiten eine Säule für unser Leben mit Gott finden zu wollen. Während wir diese Mittel gebrauchen, erkennen wir nicht, dass wir die sicherste Hilfe in uns selbst haben: Gott, der im Grunde unseres Herzens aktiv und gegenwärtig ist. Meister Eckhart sagt: "Die Leute sagen oft zu mir: ‚Bitte für mich!‘ Dann denke ich: ‚Warum geht ihr aus? Warum bleibt ihr nicht in euch selbst und greift in euer eigenes Gut? Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch!‘"und an allen Stätten."
Den Grund für dieses unkontrollierte Ausgehen sieht Eckhart darin, dass Gott für die Seele noch nicht alles ist. Wenn er für die Seele alles wäre, dann wäre sie im Frieden, in einem Frieden, von dem wir kaum eine Ahnung haben. Aber solange wir an unserem Selbst festhalten, riskieren wir, Gott überall zu verpassen. Eckhart drückt es so aus:
"Wem aber Gott nicht so wahrhaft innewohnt, sondern wer Gott beständig von draußen her nehmen muss in diesem und jenem, und wer Gott in ungleicher Weise sucht, sei es in Werken oder unter den Leuten oder an Stätten, der hat Gott nicht. Und es mag leicht etwas geben, was einen solchen Menschen behindert. Und darum hindert ihn nicht nur böse Gesellschaft, sondern ihn hindert auch die gute, und nicht allein die Straße, sondern auch die Kirche, und nicht allein böse Worte und Werke, sondern auch gute Worte und Werke. Denn das Hindernis liegt in ihm, weil Gott in ihm noch nicht alle Dinge geworden ist.
In einem späteren Text schreibt Eckhart noch deutlicher:
"Ein Mensch gehe übers Feld und spreche sein Gebet und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott: Erkennt er darum Gott mehr, weil er an einer ruhigen Stätte weilt, so kommt das von seiner Unzulänglichkeit her, nicht aber von Gottes wegen; denn Gott ist gleicherweise in allen Dingen und an allen Stätten."
Dies ist ein wertvoller Hinweis für alle, die auf der Suche nach besseren Bedingungen für das Gebet sind. Das Problem ist häufig nicht unbedingt da, wo wir meinen.
Dominikanerpater Bernhard Kohl, Leipzig
Zitate nach: Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, hg. und übers. von Josef Quint, München 2004.