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"…und der Weg wächst unter deinen Füßen"

Immer wieder zieht es Pilger in die Herberge bei Familie Gerdes in Crostwitz

Crostwitz. Seit einem Jahr bertreiben Monika und Christoph Gerdes eine Pilgerherberge am ökumensichen Pilgerweg.

Christoph und Monika Gerdes beherbergen in ihrem Haus Pilger aus aller Welt. Die vielen Begegnungen bereichern sie und stärken sie auch in ihrem eigenen Glauben.

Hertha Benadzina würde sich freuen. In der Wohnstube der früheren Wirtin des Mittel-Gasthofs in Crostwitz zieht wieder Leben ein. Pilger übernachten hier. "Danke für eure Offenheit und Gastfreundschaft", hat sich ein Pirnaer Pilger mit einer gezeichneten Skizze an der Wand verewigt. Im Raum nebenan liegt ein kleines zweifarbiges ökumenisches Pilgerkreuz aus Holz auf dem Fensterbrett. Ein Tischler aus dem Schwarzwald hinterließ es. Er gehört zu den rund 130 Pilgern, die bereits bei Christoph und Monika Gerdes Rast gemacht haben. Seit einem Jahr besteht ihre Herberge, direkt am 453 Kilometer langen Ökumenischen Pilgerweg Görlitz-Vacha.

Immenser Aufwand steckt im Umbau des Hauses. Heute ist es ein Schmuckstück im Zentrum des Dorfes. "Pilgerherberge / Putniska hospoda" steht auf vom Bildhauer Aloysius Scholze aus Säuritz geschnitzte Holztafeln in Deutsch und Sorbisch an der Hauswand. Viele Pilger wissen nicht viel von den Sorben. Sie staunen über deren Einheit von Sprache und Glauben. Sie staunen über die bis heute erhaltene starke katholische Enklave mitten im ehemals protestantischen Osten. Sie staunen über das lebendige Sorbisch im Alltag.

"Wir wollten, dass in dieses Haus wieder Leben einzieht", sagt Monika Gerdes. In diesem Haus ist sie geboren und in Crostwitz aufgewachsen. Russisch und Sorabistik (Wissenschaft von den sorbischen Sprachen und Literaturen) studierte sie in Leipzig. "Ich wollte im Beruf mit Menschen zu tun haben", sagt die 49-Jährige. Seit 1989 arbeitet sie beim Sorbischen Rundfunk, heute MDR 1 - Radio Sachsen. Ihr Mann Christoph (51) stammt aus Leipzig. Jahrelang war er freischaffend Theaterwissenschaftler. Heute verantwortet er die Herberge.

Die Idee dazu entstand vor zwei Jahren. "Es war ein spontaner Entschluss", erzählt Monika Gerdes. Damals pilgerte sie selbst mit einer niederländischen Freundin. Von Görlitz ging es über Arnsdorf, Nechern, Bautzen bis zum Kloster St. Marienstern. "Wir wollten die Zeit entschleunigen." Mit Pfarrer Clemens Rehor in Crostwitz sprach das Ehepaar später über die Idee einer Herberge. Der reagierte offen. Zur Eröffnung segnete er die Räume.

Christoph Gerdes als Herbergsvater nimmt sich Zeit für die Pilger. Er sieht sich vor allem als Zuhörer. "Jeder einzelne Pilger ist wichtig. Wir nehmen jeden so an, wie er ist. Es ist wohl das kostbarste Gut, sich für andere Zeit zu nehmen." Manche Pilger, so spürt er, bauen innere Last ab. Andere stehen vor schwierigen Entscheidungen. Wieder andere bauen mit dem Pilgern puren Stress ab. Stress durch zuviel oder keine Arbeit. "Viele sind auf der Suche nach Gott, selbst Atheisten. Sie spüren: Ihr Weltbild reicht nicht aus im Leben."

Noch vor Eröffnung der Herberge klopften zwei Pilgerinnen aus Buchholz bei Görlitz in der Herberge an. Völlig erschöpft waren sie. Über 40 Kilometer hatten sie an diesem Tag bewältigt. Familie Gerdes nahm sie spontan auf. Ein Jahr später, im Mai 2009, kam es überraschend zum Wiedersehen. Beide Pilgerinnen rasteten diesmal mit dem Buchholzer Christlichen Kulturverein Tenne in Crostwitz. Sie erzählten über ihre Pilgerwanderung 2008. Bis nach Vacha hatten sie es geschafft. "Sie waren einfach glücklich darüber", erzählt Monika Gerdes.

Ende Mai wiederum kam eine Gruppe mit zwei Portugiesen, einem US-Amerikaner und drei Deutschen aus Hofheim am Taunus. "Sie hatten sich auf dem Jakobsweg in Spanien kennengelernt und wollten nun den Ökumenischen Pilgerweg ab Görlitz erkunden", sagt der Herbergsvater. Seine Frau bekam als Sorbin Fragen über Fragen gestellt. Später sang sie das Volkslied "Hancicka wowcerjowa" (Liebe Johanna). Die Pilger stimmten ein. In vielen Sprachen wurden den ganzen Abend Lieder gesungen. "Und der Weg wächst unter deinen Füßen, im Gehen, fast wie ein Wunder", verbildlichten die Gäste den Sinn ihres Pilgerns im Gästebuch.

Andere Erlebnisse: Eine junge Mutter kam mit ihrem acht Monate alten Sohn Elia aus Vorarlberg in Österreich. Zusammen mit ihrer Freundin pilgerte sie. "Sie war gut vorbereitet, gut informiert", sagt Monika Gerdes. "Ihr Motiv war: ,Wenn ich ein Kind habe, ist es an der Zeit zu pilgern.‘" Sehr viel Zeit nahm sich ein ungarischer Vater mit seinem 22-jährigen Sohn. Über Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Durch das Pilgern fanden sie wieder zueinander.

Blick auf die Crostwitzer Pilgerherberge. Sie besteht seit einem Jahr und liegt unmittelbar am Ökumenischen Pilgerweg Görlitz-Vacha.


Über ihre eigenen Pilgererfahrungen sagt Monika Gerdes: "Die Kräfte wachsen einem zu. Jeder Tag gibt dir etwas anderes." 2007 lief sie auf dem Ökumenischen Pilgerweg bis Panschwitz-Kuckau, 2008 weiter bis Großenhain, 2009 bis Erfurt. "Wenn die Not am größten ist, ist die Hilfe am nächsten", sagt sie und erinnert sich an ein Erlebnis in Lißdorf bei Eckhartsberga. Dort bat ein Herbergsvater sie und ihre Begleiterin bei strömendem Regen zum Kaffee. "Es ist die Erfahrung ,Du wirst ankommen. Du bist in Gott geborgen‘. Das gibt dir Kraft fürs Leben."

Dank der Herberge führt Familie Gerdes ein intensiveres Leben als früher. "Es ist mehr selbstbestimmt - obwohl es von anderen bestimmt wird", meint Christoph Gerdes. Im Erdgeschoss, richtet er derzeit die "Pilgeroase" ein. Für vier Veranstaltungen monatlich soll sie ab Ende November offen stehen. Lebenspraktische Themen sollen bei Gesprächsrunden jeweils am Donnerstag zum "5-Uhr-Tee" diskutiert werden. Der Freitagabend, so die Idee, könne dann für Gesellschaftsspiele dienen, der Samstag für Lesungen, Musik, Dokumentationen, Erfahrungsberichte und der Sonntagnachmittag für sorbisches Kinderkino. "Möglich sind auch sorbische Lesungen", so der Herbergsvater. "Autoren könnten aus ihren Manuskripten lesen."

Hintergrund

Pilgerherberge Crostwitz / Putniska hospoda Chroscicy

Die Pilgerherberge Crostwitz hat eine lange Vorgeschichte.

1844 (Beginn der Aufzeichnungen) gehörte das Gehöft dem Wundarzt Theodor Joseph Leidler.

1849 erwarb der Arzt Jakob Joseph Salowsky das Grundstück. 1871 kaufte Fleischermeister Peter Trutz das Gehöft. Er betrieb die Gastwirtschaft und war Fleischlieferant für das Kloster St. Marienstern.

1913 erwarb Georg Michael Bensch aus Jeßnitz für seine Familie das Gehöft. Er übernahm die Gastwirtschaft und eröffnete nach Umbau des Stallgebäudes eine Bäckerei mit Kolonialwarenhandlung. Seitdem blieb das Grundstück in Familienbesitz.

1927 erfolgte die Verpachtung der Bäckerei und einer Wohnung an Max Pöpel mit Familie. 1955 war erste grundlegende Modernisierung. 1959 schloss die Bäckerei, 1960 die Gastwirtschaft. Letzte Wirtin war Hertha Benadzina.

Danach wurde das Haus als Konsum, Arztpraxis, Gemeindebibliothek, Filiale der Sparkasse, Steuerberater-Büro und anderweitig genutzt.

In den Jahren 2006 bis 2008 erfolgte der schrittweise Ausbau des westlichen Haus-Teils zur Pilgerherberge. Eröffnung war am 15. Juni 2008. Geplant sind ab Ende November in der Pilgeroase vier Veranstaltungen monatlich.

Kontakt:
Monika & Christoph Gerdes,
Hornigstraße 24,
01920 Crostwitz,
Telefon: 03 57 96/9 64 64

Weitergehende Informationen für Interessierte: www.oekumenischer-pilgerweg.de

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