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Organist oder Automat?

Seit Ende der 1970er Jahre spielt Bernhard Jerye in Görlitz an der Orgel / Heute bewegt den 72-Jährigen die Frage, wie es mit der ehrenamtlichen Kirchenmusik weitergeht

Görlitz. Seit rund 40 Jahren spielt Bernhard Jerye in Görlitz ehrenamtlich Orgel, meist in seiner Heimatgemeinde St. Hedwig. Wie wird es künftig weitergehen mit ehrenamtlicher Kirchenmusik? Bernhard Jerye hat darauf ein paar Antworten.

Bernhard Jerye an der Orgel.

"Es war kurz nachdem wir 1978 nach Rauschwalde gezogen sind", erinnert sich Berhard Jerye an die erste Einsegnung in der damals neuen Wohnung in diesem Görlitzer Stadtteil, der zur Gemeinde St. Hedwig gehört. Damals stellt Pfarrer Günter Gottwald fest, dass die Familie ein Klavier in der Wohnung hat, "da hat er mich vergattert, mich am Orgelspiel zu beteiligen". In St. Hedwig gab es zu dieser Zeit zwei Organisten. "Wieso hätte ich daran denken sollen, mit dem Orgelspiel anzufangen?", fragte sich der damals 42-Jährige. "Von allein wäre ich nie auf den Gedanken gekommen."

"Das meiste musste ich mir selbst erarbeiten"

Bernhard Jerye hatte als Jugendlicher das Klavierspielen erlernt. Nun sagte er dem Pfarrer zu und begleitete hin und wieder die Gottesdienste auf einem elektronischen Klavier. Parallel nahm er Orgelunterricht. "Rückenwind und Hilfe bekam ich vom Ehepaar Lammert." Es folgten Lehrgänge an der Kirchenmusikschule Görlitz. "Das meiste musste ich mir aber selbst erarbeiten."

Eines Tages weigerte sich der damalige Kirchenmusikdirektor Karl Jonkisch auf dem elektronischen Klavier - "dem Ding", wie er es nannte - in St. Hedwig zu spielen. Nun verstärkte die Gemeinde ihre Bemühungen um eine eigene Kirchenorgel. Allerdings sollte es nach Ansicht der Orgelverantwortlichen des Bistums auch kein Instrument von einer " No-name- Firma" sein, obwohl die Wartezeit zu DDR-Zeiten bei "nur fünf Jahren" lag. Bei der Firma Eule musste man ungefähr 15 Jahre warten.

Der damalige Generalvikar Peter Canisius Birkner erwies sich als der rettende Engel. Nach Einwilligung des Kirchenvorstandes von St. Jakobus verfügte er, dass das als Zweitorgel bereits bestellte Instrument für St. Jakobus mit einem Register erweitert und für St. Hedwig umbestellt wurde. "Dadurch sind wir 1986 zu einer Orgel gekommen. Von diesem Zeitpunkt an war für mich erst die richtige Motivation da", sagt Bernhard Jerye. An vielen Abenden sah man danach in der Hedwigskirche dezentes Licht leuchten. "Das Pedalspiel habe ich mir größtenteils autodidaktisch beigebracht. Es lernt sich nicht mehr so gut mit 50 Jahren und der Aufwand zum Üben wird von Jahr zu Jahr höher", stellt der inzwischen 72-Jährige fest. Heute sind in der St. Hedwigsgemeinde drei Leute für das Orgelspiel zuständig: Neben Bernhard Jerye sind das Professor Dr. Peter Stosiek und Gudrun Ender. "Wir teilen uns in die sonntägliche Gottesdienstbetreuung."

Den ökumenischen Kirchenchor der katholischen St. Hedwigs- und der evangelischen Christuskirchengemeinde begleitet Bernhard Jerye. Bevor er das aber tun kann, stellt er aus dem Repertoire, das er von der Chorleiterin erhält, das Programm für den jeweiligen Gottesdienst zusammen. "Dies ist mit viel Arbeit verbunden, denn es erfordert eine Menge Absprachen", sagt Bernhard Jerye. Gelegentlich begleitet er, als Aushilfe, auch in der Kathedrale St. Jakobus an der großen Orgel die Gottesdienste. "An diesem Instrument zu spielen, ist natürlich noch ergreifender."

Sorge um die Zukunft der Kirchenmusik

Orgelspielen ist nicht die einzige ehrenamtliche Tätigkeit von Bernhard Jerye, dem Vater von drei inzwischen erwachsenen Söhnen. Mit seiner Frau Renate hat er den vollen Überblick über Dutzende akkurat angelegte, beschriftete und geführte Aktenordner: Ob in Sachen der Pfarrei oder des angrenzenden Kindergartens der Gemeinde, die Kirchenvorstände erhalten seit 2002 perfekt vorbereitete Unterlagen zu ihren Sitzungen. Das hat mit Bernhard Jeryes früherer beruflicher Tätigkeit zu tun: Als Diplomingenieur für Automatisierungstechnik im VEB Maschinenbau Görlitz - heute Siemens Turbinenbau - war die Perfektion sein täglicher Begleiter. Auch beim Orgelspielen kommt ihm diese Tugend zugute.

Inzwischen treibt Bernhard Jerye eine Sorge um: die Sorge um die Zukunft der Kirchenmusik. Aber er belässt es dabei nicht bei Feststellungen und Klagen, sondern hat einige konstruktive Thesen parat: "Der ehrenamtliche Organist wird zunehmend für die Pfarrgemeinden zum Erfordernis. Gottesdienstbegleitung aus der Konserve ist im Grunde genommen ein Ärgernis." Notebook statt Notenbuch? Liegt zukünftig neben dem Messbuch auf dem Altar die Computertastatur, auf der der Pfarrer dann die Befehle eintippt für die elektronische Begleitung des Gemeindegesangs? "Man stelle sich mal vor, unter dem Altar steht der Computer und die ersten Geräusche kommen vom anlaufenden Lüfter. Der Pfarrer hat dann einen Joystick in der Hand und steuert den Orgel- Automaten. Sicherlich kann man auf diese Weise Musik der besten A-Kantoren aus dem Kölner Dom in eine kleine Dorfkapelle einspielen, aber selbst mit mittelmäßigen Kantoren ist es besser als aus der Konserve", ist Bernhard Jerye überzeugt und bricht damit eine Lanze für ein authentischeres Gotteslob. Diese Entwicklung könnte ja noch weitergehen: "Wo ist die Grenze erreicht? Bei der Videoleinwand vor dem Altar, auf der der Gottesdienst eingespielt wird, wenn kein Priester mehr kommt?"

Damit sich in den Gemeinden neue Organisten finden, sind nach Bernhard Jeryes Vorstellung ein paar Voraussetzungen nötig: "In musikalischer Hinsicht sollten technische Fertigkeiten am Klavier vorhanden sein. Nötig ist eine Anleitung: Ein neuer Organist braucht unbedingt die Betreuung durch einen gestandenen Organisten. Dabei spielt die Konfession nur im Hinblick auf die konkrete Liturgie eine Rolle. Unterstützung muss es auch von der betreffenden Pfarrei geben: Gelegentlich verbale Anerkennung, symbolische Aufwandsentschädigung, Vermeidung von Überforderung sind Stichworte. Und natürlich muss ein Organist auch eine persönliche Eignung mitbringen: Fleiß und Ausdauer, denn vor allem das zusätzliche Pedalspiel bereitet, zumindest am Anfang, einige Schwierigkeiten und verlangt Geduld."

Verbindung von Schönheit und Nützlichkeit

Welche Gründe könnte es für jemanden geben, um mit dem Orgelspiel zu beginnen? Bernhard Jerye antwortet auf diese Frage aus eigener Überzeugung: "Es gibt nicht allzu viele Dinge, bei denen Schönheit und Nützlichkeit so dicht beeinander liegen wie beim qualifizierten Orgelspiel. Der Kreativität im Form von Improvisation oder Choralvorspiel und gegebenenfalls das Spiel von Orgelliteratur an geeigneter Stelle im Gottesdienst sind in der Werteskala nach oben keine Grenzen gesetzt, sodass auch der ehrenamtliche Organist bald Freude und Selbstständigkeit in seiner Entwicklung finden wird. Und das wiederum kann einem gesunden Ehrgeiz Flügel verleihen."

Übrigens: Die Suche nach einem Organisten sollte nicht nur den Pfarrer interessieren. Und nicht nur er sollte die Augen offen halten, um in einer Wohnung ein Klavier zu entdecken. Dort könnte schließlich ein zukünftiger Organist wohnen.

Von Raphael Schmidt

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