Den Auftrag für die Menschen gemeinsam in den Blick nehmen
Ilse Junkermann, die erste Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Magdeburg / Erfurt. Am 29. August wird Ilse Junkermann mit einem Gottesdienst im Magdeburger Dom in ihr Amt als erste Landesbischöfin der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM) eingeführt. Der Tag des Herrn sprach mit ihr.
Frau Junkermann, Sie kommen aus Stuttgart, einer Region, wo die Welt und die Kirche noch weitgehend in Ordnung sind. Was reizt Sie, nach Ostdeutschland zu kommen und die Aufgabe der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zu übernehmen?
Die Situation der Kirchen in Westeuropa im 21. Jahrhundert ist ziemlich vergleichbar, egal wie viele Mitglieder sie haben und über welche wirtschaftliche Kraft sie verfügen. Alle Kirchen stehen vor der Aufgabe der Mission und vor der Frage, wie sprachfähig wir als Christen in die Gesellschaft hinein sind. Dabei müssen wir mit weniger Mitteln zurechtkommen. In Mitteldeutschland stellen sich diese Fragen sehr viel klarer als in anderen Regionen, denn hier ist die Situation besonders zugespitzt. Und das ist für mich sehr spannend. Außerdem finde ich, dass die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland unglaublich mutig ist. Natürlich war den beiden Landeskirchen, die zur EKM fusioniert sind, klar, dass es heftige Konflikte geben wird. Aber sie trauen dem Evangelium und ihrem Glaubensmut zu, das zu bewältigen. Die beiden Kirchen haben ihre Kräfte zusammengetan, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Mich hier anzuschließen und die erste Wegstrecke der Fusion mitzugehen, das reizt mich sehr.
Welche Schwerpunkte möchten Sie in diesem Prozess des Zusammenwachsens setzen?
Zunächst heißt es für die beiden ehemaligen Landeskirchen, sich gegenseitig wahrzunehmen und zu schauen, wie die Unterschiedlichkeit uns gegenseitig bereichert. Statt in Konkurrenz zu treten, bedeutet das, zu einem konstruktiven Miteinander zu kommen. Außerdem muss es einen geistlichen Aufbruch geben: Wie werden die Gemeinden ihrer eigentlichen Aufgabe angesichts der zugespitzten Situation gerecht? In der Kirchenverfassung der EKM stehen zwei Dinge, die in keiner anderen Kirchenverfassung stehen: Die Gemeinden haben die Pflicht, den Getauften nachzugehen, die aus der Kirche ausgetreten sind, denn die Taufe gilt ja weiter. Und es gibt in den Gemeinden einen Gaststatus für Nichtgetaufte. Die Gemeinden haben viele geistreiche Ideen, das umzusetzen. Darüber sollten wir in einen Austausch kommen und diese Ideen gegenseitig fruchtbar machen. Darin sehe ich eine bischöfliche Aufgabe. Das Thema geistlicher Aufbruch spielte auch vor meiner Wahl zur Bischöfin im Gespräch mit den Synodalen eine wichtige Rolle. Und eine dritte Aufgabe sehe ich: Wir befinden uns in der Lutherdekade zur Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum 2017. Hier heißt die Frage: Wie werden wir den vorhandenen Ansprüchen und Erwartungen mit unserer kleinen Kraft gerecht?
Sie sind als Bischöfin für zehn Jahre gewählt. Welche Vision von der Kirche im Jahr 2019 haben Sie?
Die Kirche hat dann - nach der Lösung der Strukturfragen - wieder neu erfahren, welche Kraft im Evangelium und in der Gemeinschaft, im Gottesdienstfeiern, Bibellesen und Beten steckt. Sie weiß, wo sie gefordert ist, etwas zu tun. Aber sie weiß auch, wo es wichtig ist, alles Tun sein zu lassen. Kirche lebt allerdings nicht von sich selber her, sondern vom Empfangen. Auf diese reformatorische Wiederentdeckung in den nächsten Jahren hoffe ich.
Mitteldeutschland ist die säkularisierteste Region Europas. Glauben Sie an eine Rückkehr der Religion oder sind die Menschen hier hoffnungslos areligiös?
Das kann ich nicht sagen, dazu kenne ich die Menschen hier zu wenig. Es gibt eine Tradition der Konfessionslosigkeit. Aber ich denke, dass jeden Menschen irgendwann in seinem Leben die Fragen nach dem Woher und Wohin umtreiben, nach dem Sinn des Lebens und dem, was einen trägt, worauf man hofft, was einen freut ... Diese Fragen kann niemand für sich allein beantworten. Er braucht dazu das Miteinander anderer Menschen und das Gegenüber zu Gott. Ich denke, das kann man keinem Menschen austreiben. Es gibt hier einen großen Analphabetismus in diesen Fragen bei den Konfessionslosen. Deshalb sind die Gemeinden herausgefordert, sich zu öffnen. Wenn beispielsweise in den Kirchbauvereinen 40 Prozent der Mitglieder keine Christen sind, sind das doch Menschen, die sich für Kirche interessieren. Sie sollten wir zur Gemeinschaft einladen, ohne ihnen dabei gleich vorzuschreiben, so oder so musst du sein, sonst kannst du nicht zu uns gehören.
Auch eine kleine Kirche hat die Aufgabe, Gesellschaft mit zu gestalten. Wie wird das die EKM tun?
Ein Schwerpunkt sind dabei die Themen des Konziliaren Prozesses - Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Das verbindet uns mit den Kirchen in aller Welt. Wir müssen allerdings fragen, welche regionale Aktualität diese Themen haben. In der ostdeutschen Situation der traditionellen Konfessionslosigkeit und nach zwei totalitären Diktaturen halte ich die Frage nach dem Menschenbild für sehr wichtig. Dabei geht es um den Anfang und das Ende des menschlichen Lebens, aber auch darum, ob ein Mensch nur etwas wert ist, wenn er etwas leisten kann. Als Christen sagen wir: Jeder Mensch ist einzigartig und hat einen einzigartigen Wert.
Ihre Wahl als Westdeutsche war nicht unumstritten. Sehen Sie Ihre Herkunft als Chance oder als Schwierigkeit?
Beides. Es ist eine großes Chance für die EKM, dass jemand von außen kommt. Deshalb steht ja auch im Fusionsvertrag, dass der erste Bischof aus keiner der beiden früheren Landeskirchen kommen darf. Die Schwierigkeit besteht darin, dass ich die ostdeutsche Geschichte zwar von außen kenne, aber nicht von innen, vom Miterleben. Und deshalb weiß ich auch nicht, was diese Geschichte für die Kirche bedeutet. Ich kenne nicht den hiesigen Menschenschlag und die Mentalitäten. Deshalb will ich sensibel, vorsichtig und aufmerksam sein. Die Menschen hier befürchten - das ist eine Erfahrung, die sie seit 1990 oft gemacht haben -, dass Westdeutsche immer gleich mit den richtigen Rezepten kommen und wissen wie‘s geht. Ich habe keine Rezepte.
Wir sprachen vorhin schon von der Lutherdekade als einer wichtigen Aufgabe in Ihrer Amtszeit. Welche Akzente wollen Sie bei der Vorbereitung des Reformationsjubiläums setzen?
Wir werden uns als Gemeinden Themen stellen und uns für die Auseinandersetzung damit genug Zeit geben. Ein solches Thema könnte beispielsweise das Menschenbild sein, aber auch das Gottesbild und unser Weltbild. Natürlich ist die Ökumene in dieser Zeit eine besondere Herausforderung. Gott denkt uns nach wie vor zusammen und weist uns aufeinander - trotz aller Unterschiedlichkeit. Zu sehen, was das im 21. Jahrhundert in der ostdeutschen Situation bedeutet, ist eine besondere Herausforderung.
Was wünschen Sie sich zu Ihrem Amtsantritt von der katholischen Kirche?
Ich wünsche mir, dass wir das, was gemeinsam möglich ist, auch gemeinsam tun und dass wir uns auch in großer Offenheit darauf hinweisen, wenn der andere dabei etwas übersieht. Ich hoffe auf ein Verhältnis der Geschwisterlichkeit auf gleicher Augenhöhe, damit wir den gemeinsamen Auftrag für die Menschen auch gemeinsam in den Blick nehmen.
Fragen: Matthias Holluba
"Junge Kirche, neue Bischöfin" heißt eine Sondersendung des MDR-Fernsehens am 30. August (13.15 Uhr) zur Amtseinführung von Ilse Junkermann
Zur Person
Ilse Junkermann wurde am 31. Mai 1957 in württembergischen Dörzbach geboren. Sie studierte evangelische Theologie in Tübingen und Göttingen und war zunächst als Gemeindepfarrerin tätig. 1994 wurde sie zur Studienleiterin für Pastoraltheologie und Predigtlehre am Pfarrseminar der württembergischen Landeskirche berufen, 1997 wechselte sie in den Stuttgarter Oberkirchenrat und war dort zuständig für Ausbildung und Personal. Nach der Fusion der Thüringer Landeskirche und der Kirchenprovinz Sachsen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) im Januar wählte deren Synode Ilse Junkermann zur ersten Bischöfin der EKM. In Deutschland ist sie die vierte Frau an der Spitze einer evangelischen Landeskirche. Ilse Junkermann ist geschieden und Mutter eines erwachsenen Sohnes. (epd / tdh)