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Nicht auf die Stimme des Hasses hören

Anstoß von Kaplan Marko Dutzschke

Worum geht es, wenn wir usn 70 Jahre danach an den Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnern?

Marko Dutzschke

Vor 70 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Im Religionsunterricht erzählten mir einige Schüler, dass an ihren Schulen Schweigeminuten gehalten wurden. In Berlin fand ein Gedenkgottesdienst in der St.-Hedwigs-Kathedrale statt und auf der Westerplatte bei Danzig gab es ein Gedenken mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Polens Ministerpräsident Donald Tusk. In seiner Predigt in Berlin sagte der polnische Bischof Wiktor Skworc, dass die Kirche in Deutschland und in Polen nicht den Fehler begehen dürfe, "die Opfer aufzuzählen und so das Leid zu messen". Es geht nicht darum, Schuld gegeneinander aufzurechnen. Aber worum geht es dann?
Seit diesem Sommer ist die Westerplatte für mich mehr als nur ein Begriff. Wir waren mit Jugendlichen in Kolberg an der polnischen Ostsee und haben von dort einen Ausflug nach Danzig gemacht. Als Hitler der Öffentlichkeit mitteilte, dass seit 5.45 Uhr zurückgeschossen werde, war das eine Lüge. Zu der Zeit lagen Danzig und andere Orte Polens längst unter Beschuss. Der Zweite Weltkrieg begann mit einer Lüge. Im Pfarrbrief las ich sinngemäß und passend, dass am Ende jeder Krieg eine einzige Lüge ist. Die Lüge des Zweiten Weltkrieges begann nicht erst mit dem Überfall auf Polen. Sie begann mit den Lügen von der arischen Herrenrasse oder vom Lebensraum im Osten.
Am 1. September hatten wir als Evangelium eine Stelle aus dem Lukasevangelium. Jesus heilt einen Mann, der von einem Dämon besessen ist (Lk 4,31-37). Vielleicht kann man sagen, Hitler gleicht in mancherlei Hinsicht diesem Besessenen. Das ist nicht als Entschuldigung gemeint, als sei irgendein anderer - am Ende gar der Teufel persönlich - Schuld gewesen. Wenn Hitler besessen war, dann von seinem Hass.
Die Heilung im Evangelium besteht darin, dass Jesus den Mann von seinem Hass befreit, der ihn vom Leben fernhält. Heute wie damals gibt es Menschen, die vom Hass besessen sind. Wenn in Görlitz eine Partei mit dem Slogan "Poleninvasion stoppen" wirbt, ist das vom Hass getrieben. Wenn es in einer Beziehung kriselt und sich Eheleute das Leben zur Hölle machen, ist das vom Hass getrieben. Wenn es Staaten gibt, die ihren Bürgern die Freiheit und die Wahrheit verwehren, ist das vom Hass getrieben. In solchen Momenten wünsche ich mir, mehr wie Jesus zu sein, um den Hass aus den Menschen zu vertreiben.
Ich habe gefragt, worum es geht, wenn wir uns nach 70 Jahren noch an den Beginn des Krieges erinnern. Sicher nicht, um abzurechnen und den Hass zu schüren, sondern um die Erinnerung wach- und den Hass fernzuhalten.

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