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Was sind Rituale?

Rituale sind aus unserem Leben nicht wegzudenken, sie umgeben uns förmlich und ordnen Alltag wie Festtag gleichermaßen. Doch was sind Rituale? Ein Stichwort von Annette Schneider.

Rituale sind aus unserem Leben nicht wegzudenken, sie umgeben uns förmlich und ordnen Alltag wie Festtag gleichermaßen. Sie geben unserem Leben eine Struktur, da sie auf den Normen, in denen unser Leben abläuft, beruhen. Diese sind einerseits gesellschaftlich bedingt, andererseits aber auch diktiert von den Normen der einzelnen Gruppen, mit denen wir jeweils kommunizieren, d.h. unser Umgang mit Arbeitskollegen, Familie oder Kirchgemeinde verlangt jeweils eigenständige Rituale. So gibt es zum Beispiel, sog. Trennungsriten (wie z. B. der Abiturball oder der Kuss des Partners beim Verlassen des Hauses) oder auch Aufnahmeriten (Erstkommunion, Feier beim Einzug ins neue Haus). Rituale funktionieren dabei als eine Art Code zwischen Sender und Empfänger. Dabei kann man drei Gruppen unterscheiden: 1. die Initiatoren und Organisatoren; 2. die Akteure; 3. die Passiven (Zuschauer, Passanten).

Die einzelnen Handlungen müssen nicht nur gekonnt, sondern ihr Symbolgehalt muss auch verstanden werden (z. B. das Anzünden des Lichts an der Osterkerze in der Osternacht). Ist dies nicht der Fall, kann dies Abgrenzung nach außen und Ausgrenzung von außerhalb der Gruppe Stehenden bedeuten.

Die Handelnden geben im Ritual ihre eigenen Anschauungen und Gefühle wider und präsentieren diese vor einer Öffentlichkeit (der sozialen Gruppe). Rituale können aber auch eine Art Ventil für Gefühle und Handlungen darstellen, die handelnde Person in eine andere Rolle schlüpfen lassen und damit ein sonst übliches Tabu oder Verbot brechen (Büttenreden, Rügebräuche), dazu dienen z.B. Masken und Kostüme.

In jedem Fall verlangen Rituale trotz aller vermeintlichen Festlegungen in ihrer Ausgestaltung nach Kreativität. So existiert seit Menschengedenken ein entsprechendes Repertoire an Formen und Requisiten,, das die Ausdrucksformen eines Rituals bildetDer Initiator eines Rituals schöpft aus diesem Repertoire und kombiniert dies unter einem entsprechenden Inhalt miteinander. Dazu gehören verbale und nonverbale Gestaltungsformen (Mimik - Gestik - Sprache); Musik, Licht – Feuer (Kerze anzünden), Wasser (geweihtes Wasser, Reinigungsbad u.a.), Kleidung, Essen, Trinken, Musik und Gesang, Rede und Schauspiel, gestalteter Raum, bestimmte Zeit, Umzug und Wettbewerb usw. Diese Elemente haben im Ritual Symbolcharakter. Im Festritual unterliegen diese Bestandteile einem formalen Aufbau und einer bestimmten Dramaturgie: Einführung, Höhepunkt, Abschluss. Im Mittelpunkt des Rituals steht die Handlung der Akteure, durch die die einzelnen Elemente verknüpft werden.

Ritual ist aber nicht nur Aktion, sondern auch Reaktion d.h. meistens unterliegen die Handlungen dem Prinzip der Gegenseitigkeit, wie vor allem bei Schenkritualen, die bestimmt sind von Gabe und Gegengabe in unterschiedlicher Weise. Beispiel dafür sind das Dreikönigssingen, bei dem die Kinder für ihren Besuch und ihr Vorsingen eine Gabe erhalten oder die Überreichung des Patengeschenks zur Taufe, wofür der Pate auch zum anschließenden Gastmahl eingeladen wird. Nicht immer ist dies so bewusst, auch die Gabenbereitung im Gottesdienst beruht auf der Vorstellung der Gegenseitigkeit: vor Zubereitung des Mahls bringt die Gemeinde ihrerseits Gaben dar (Kollekte, Brot und Wein für die Eucharistie). Damit wird schon gesagt, dass ein Ritual ein kommunikativer Prozess ist. Er kann auch dazu dienen, bestimmte Personen in den Mittelpunkt zu rücken (zu ehren).

Ritual kann aber auch Machtausübung sein und damit von der Machtverteilung innerhalb der beteiligten Gruppe zeugen.

Weiderum kann es im Ritual auch zur Umkehrung sonst üblicher Machtverhältnisse kommen, so wurde zum Beispiel ab dem 12. Jahrhundert in französischen, später auch in deutschen Klosterschulen am Tag der unschuldigen Kinder ein Kinderbischof gewählt, der ein Tag lang „regieren“ durfte., also ein Ritual der „verkehrten Welt“.

Heute werden Rituale auch in anderer Hinsicht genutzt und instrumentalisiert, so im Tourismusbereich oder in der Eventkultur (Halloween).

Dass es gerade in unserer heutigen „Multioptionsgesellschaft“ eine Sehnsucht nach Ritualen zu geben scheint, liegt vielleicht auch daran, dass Rituale Verhaltenssicherheit in einer Welt voller „Unsicherheiten“ bieten.

Annette Schneider



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