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Nicht jeder registrierte IM hat auch mit der Stasi kooperiert

Der Dresdner Prälat Dieter Grande über die Stasi-Kontakte kirchlicher Mitarbeiter

"Die Verstrickung - für Gott und die Stasi" hieß eine Fernsehdokumentation, die kürzlich über die Kontakte von Vertretern der Kirchen in der DDR zum Ministerium für Staatssicherheit berichtete.

Prälat Dieter Grande

Der Dresdner Prälat Dieter Grande ist ein Fachmann in Sachen Aufarbeitung der Kontakte der katholischen Kirche in der DDR zum Staatssicherheitsdienst. Er leitete im Auftrag der ostdeutschen Bischöfe eine entsprechende Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung dieser Kontakte und war im Bistum Dresden-Meißen darüber hinaus mit der Überprüfung der Stasi- Kontakte von Priestern und Laien beauftragt. Der Tag des Herrn sprach mit Prälat Grande über die Fernsehdokumentation "Für Gott und die Stasi".

Herr Prälat, fast 20 Jahre nach der friedlichen Revolution ein neuer Film über die Stasi-Kontakte von Kirchenvertretern. Was bringt der Film Neues?

Im Gegensatz zu vielen früheren Fernsehproduktionen und Presseberichten bemüht sich diese Dokumentation um eine differenzierte Darstellung des Sachverhalts: Kirchen und Staatssicherheitsdienst. Dabei wirft der Autor vor allem die weit verbreitete Meinung über Bord, IM (Inoffizieller Mitarbeiter) sei gleich IM, und schildert unterschiedliche Verstrickungen beziehungsweise Kontakte zur Staatssicherheit. Es wird dankbarer Weise deutlich gesagt, dass für kirchliche Mitarbeiter, die als IM registriert wurden, andere Bedingungen galten als für IM in anderen Bereichen. So gab es bei ihnen fast immer keine Werbung, keine Verpflichtungserklärung, keine eigenen Berichte, sondern Abschöpfungen in Gesprächen durch die Mitarbeiter der Stasi. Die Tatsache, dass kirchliche Mitarbeiter als IM registriert waren und einen Decknamen hatten, war diesen normalerweise weder bekannt noch bewusst.

Was kritisieren Sie an der Fernsehdokumentation?

Der Autor versucht vier Schicksale von kirchlichen Mitarbeitern in 40 Jahre DDR-Geschichte einzuordnen. Dies ist hilfreich, aber in einer 50-minütigen Sendung nur ansatzweise zu schaffen. Es werden viele Details vermittelt, die Nichtbetroffene und kirchenferne Zuschauer nur schwer in entsprechende Zusammenhänge einordnen können. Von den vielen Gesprächen, die der Autor geführt hat, bleiben im Film bei der Fülle der Personen oft nur bruchstückhafte Aussagen übrig, die aus dem Zusammenhang gerissen auch missverstanden werden können.

Wünschenswert wäre außerdem eine saubere Sprachregelung gewesen. Die Tatsache, dass eine Person von der Stasi als IM registriert wurde, sagt noch nichts darüber aus, ob er und in wieweit er tatsächlich kooperiert hat. Nicht jeder registrierte IM darf deshalb als Spitzel oder Verräter betrachtet werden. Durch Akteneinsicht und persönliches Gespräch muss eine mögliche "Verstrickung" nachgewiesen werden. Von den vier im Film vorgestellten kirchlichen Mitarbeitern war nur ein einziger freiwillig und aus Überzeugung IM, Wolfgang Schnur. Alle anderen drei waren zu Unrecht als IM registriert oder - im Fall von Clemens Rosner - allenfalls IM wider Willen. Leider wird über die Tätigkeit des IM Schnur so breit berichtet, dass die Gewichtung der ganzen Sendung nicht mehr stimmt.

Sie waren ja mit der Aufarbeitung der Stasi-Verstrickungen von Priestern und Laien im Bistum Dresden-Meißen beauftragt. Die beiden im Film vorgestellten katholischen Fälle hatten Sie sozusagen auch auf Ihrem Schreibtisch. Was gibt es aus Ihrer Sicht zu Propst Günter Hanisch zu sagen?

Der Film zeigt, dass Kontakte kirchlicher Stellen zum Staat dringend notwendig waren. Hanisch war zunächst Beauftragter für Gespräche mit dem Rat des Bezirkes, also einer Regierungsstelle. Die Räte der Bezirke aber schlossen sich bei wichtigen Entscheidungen immer wieder mit der Staatssicherheit kurz. Und als Hanisch wegen eines kirchlichen Mitarbeiters beim Rat des Bezirks intervenierte, der zur Beerdigung seines Bruders in den Westen fahren wollte, hat sich dann die Staatssicherheit bei ihm zurückgemeldet. Das ist ein typisches Beispiel, wie eng die Verflechtungen waren. Von daher ist es eine Illusion, wenn man meint, man hätte den Kontakten mit der Stasi aus dem Weg gehen können, indem man nur mit dem Rat des Bezirkes verhandelt hätte. Weitere solche Fälle ließen sich belegen. Entsprechende Beauftragte für die Gespräche mit der Stasi gab es in Berlin und in den Bistümern Dresden-Meißen und Magdeburg. Propst Hanisch war ein solcher Beauftragter und ist von daher zu Unrecht als IM registriert.

Der zweite im Film vorgestellte Fall aus der katholischen Kirche ist der des damaligen Leipziger Studentenpfarrers Clemens Rosner. Sie haben Rosner vorhin schon als IM wider Willen bezeichnet. Warum?

Pfarrer Rosner hatte Kontakte zu einer Familie, von der er gebeten wurde, für den Sohn ein Auto zu beschaffen. Rosner hat das über seinen im Westen lebenden Vater organisiert. Dieser hat dem jungen Mann über Genex, eine von der DDR-Regierung gegründet Firma für derartige Geschäfte, einen Wartburg geschenkt. Dafür erhielt Rosner die 21 000 DDRMark, die ein Wartburg in der DDR kostete. Dieses Geld hat er für die Arbeit der Studentengemeinden verwendet. Später hat dieser junge Mann einen Einbruch verübt und dabei ist das Auto aufgefallen. Es kam zu entsprechenden Untersuchungen zur Herkunft des Fahrzeuges, die bei Pfarrer Rosner mündeten.

Solche Autokäufe hat Rosner mehrfach praktiziert, um damit den Haushalt der katholischen Studentenseelsorge in der DDR aufzubesser und so deren Arbeit zu ermöglichen. Der DDR-Staat hat ja diese Geschäfte selbst erst ermöglicht und Rosner hat sie nur genutzt. Von den DDR-Paragrafen her aber galt das als Devisenvergehen. Dadurch ist Rosner für die Stasi erpressbar geworden. Wäre es zu einem Prozess gekommen, wäre die ganze Finanzierung der Arbeit der Studentengemeinden in der DDR offenkundig geworden und der Staat hätte massiv gegen diese vorgehen können. Das wollte Pfarrer Rosner verhinden.

Was genau hat dann zur Registrierung Pfarrers Rosners als IM geführt?

Im Laufe eines Jahres von Juni 1969 bis Juli 1970 ist es zu fünf Besuchen durch einen Stasi-Offizier bei Pfarrer Rosner gekommen. Im Abschlussbericht schreibt der Stasi- Offizier: Der Kontakt zu Rosner werde wegen Dekonspiration und Unbrauchbarkeit abgebrochen. Das heißt: Die Stasi hat nicht die Informationen erhalten, die sie sich von Rosner erhofft hatte. Also muss man auch in diesem Fall sagen: Rosner hätte nicht in die Liste der IM aufgenommen werden müssen. Verglichen mit anderen Stasi-Kontakten im kirchlichen Bereich ist das, was er getan hat, eine Bagatelle. Aus heutiger Sicht sind seine Kontakte zur Stasi sogar vernünftig gewesen, denn andernfalls hätte er die Arbeit der Studentenseelsorge gefährdet. Rosner hat sich auch an alle Vorschriften in der katholischen Kirche gehalten, die für entsprechende Kontakte zur Stasi galten. Er ist zu seinem Oberen und zum Bischof gegangen und hat beide über diese Gespräche informiert.

Unterm Strich betrachtet: Welchen Einfluss hat denn die Stasi auf das Leben der katholischen Kirche in der DDR gehabt?

Der Stasi ist es auch mit Hilfe einzelner IMs unter kirchlichen Mitarbeitern gelungen, präzisere Informationen zu sammeln, als wenn sie nur Spitzel in die Gottesdienste geschickt hätten. Aber Einflussnahme hat es nicht gegeben. Es ist der Stasi nicht gelungen, Leute in die Führungspositionen in der katholischen Kirche einzuschleusen. Man kann von keinem Einfluss der Stasi auf die katholischen Kirche sprechen.

Fragen: Matthias Holluba

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