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Courage gegen Gleichgültigkeit

Jugendliche trafen Holocaust-Zeitzeugin in Roßbach/ Christkönigstag über Zivilcourage in Dessau

Roßbach / Dessau. "Seid nicht gleichgültig!" Diese Ermutigung und Aufforderung stand über gleich zwei Jugendveranstaltungen im November.

18 Jugendliche aus dem Bistum trafen sich gemeinsam mit Referentin Nikola Deschauer mit der Holocaust-Zeitzeugin Henriette Kretz (rechts unten im Bild) im St.-Michaels-Haus in Roßbach.

"Seid nicht gleichgültig!" Gleich zwei Wochenenden mit Jugendlichen standen unter diesem Motto. 18 Jugendliche des Bistums trafen sich vom 7. bis 9. November mit der Holocaust-Zeitzeugin Henriette Kretz im St.-Michaels- Haus in Roßbach bei Naumburg. Die im belgischen Antwerpen lebende Frau Kretz erzählte den jungen Leuten aus ihrem Leben - spannend, bewegend, von Trauer, Glück, Zufällen und vor allen Dingen von der Courage anderer Menschen, ohne die sie die Zeit des Nationalsozialismus nicht überlebt hätte. "Man könnte sich eine solche Geschichte nicht ausdenken, ich würde sie selbst nicht glauben, hätte ich sie nicht erlebt", sagte Frau Kretz.

Aus der Erfahrung von Menschen für heute lernen


Die Überlebende des Holocaust hatte sich - durch das Maximilian- Kolbe-Werk vermittelt - einladen lassen, ein Wochenende unter dem Motto "Fragt uns, wir sind die Letzten" mit Jugendlichen zu verbringen. Gespannt hörten die Jugendlichen ihr zu, tief gerührt und betroffen war die Stimmung an den entscheidenden, traurigen, aber überlebenswichtigen Punkten. Überwältigung ließ die gesamte Gruppe in manchen Momenten fast erstarren, aber das Schweigen war nicht peinlich. "Das ist wirkliche Geschichte. Geschichtsunterricht ist uns nie so nahe gegangen", resümierten die jungen Leute später.

Wichtig für Henriette Kretz war aber bei weitem nicht nur, die eigene Geschichte zu erzählen, sondern die Konsequenzen daraus für die heutigen Menschen zu diskutieren. Wo schauen wir weg? Wo zeigen wir Mut? Wie kann uns das Leid anderer Menschen kalt lassen? Wo und wie handeln wir? Wir haben Verantwortung und diese gilt es zu zeigen. Frau Kretz selbst konnte nur überleben, weil andere Menschen ihre Mitmenschlichkeit über Angst und Egoismus gestellt haben - normale Menschen mit nicht mehr Mut als ihn jeder heute hat. Ihre zentrale Botschaft lautete also immer wieder: "Seid nicht gleichgültig!" Hinschauen, denken, sich vom Schicksal anderer berühren lassen, helfen und handeln ist gefragt.

"Es fällt mir jedes Mal schwer, meine Geschichte zu erzählen. Aber: Ich habe mein Herz bei euch ein wenig erleichtert und das tut auch mir gut", resümierte Frau Kretz, während sich die Jugendlichen tief beeindruckt von ihrem Gast zeigten und sich einig waren, dass sie froh sind, die vielleicht einmalige Chance nicht verpasst und eine Zeitzeugin erlebt zu haben.

Der tiefe Respekt vor der Frau schaffte zunächst ein wenig Distanz. Aber das Eis schmolz, als Henriette Kretz Witze erzählte, Porträts zeichnete, den Jugendlichen israelische Tänze beibrachte, bei einem Glas Wein ins Plaudern kam - und somit zur coolen alten Dame wurde, die alle in ihr Herz schlossen. Sie war überall mittendrin - in Gesprächen, beim Essen, beim Ausflug nach Naumburg, auch bei den Gebeten und im Gottesdienst. Das Gebet verband sie als Jüdin mit den christlichen Jugendlichen. In den 9. November hinein gedachten dann alle gemeinsam mit einer Andacht der Reichspogromnacht vor 70 Jahren.

Zivilcourage gegen erschreckende Ignoranz


Zwei Wochen später, am Samstag vor dem Christkönigstag, ging es erneut darum, nicht gleichgültig zu handeln. 40 Jugendliche trafen sich am 22. November im Gemeindezentrum Dessau, um sich in erlebnisorientierter Form dem Thema "Zivilcourage" zu widmen; einige von ihnen waren bereits beim Wochenende mit Frau Kretz dabei gewesen.

Begleitet von Polizeibeamten in Zivil provozierten die Jugendlichen mit Rollenspielen in der Öffentlichkeit Reaktionen der Passanten: Sie raubten zum Schein einer Frau ihre Handtasche, pöbelten eine ältere Dame an, störten auf dem Bahnhof die öffentliche Ruhe, belästigten ein junges Mädchen. Bei alledem beobachteten sie die Reaktionen der Passanten, klärten die Situation auf und fragten diese dann, was sie gedacht haben, warum sie wie gehandelt oder nicht gehandelt haben.

Im Anschluss kamen die Gruppen wieder zusammen und werteten gemeinsam mit den Polizeibeamten die Situationen aus. Aufschlussreich und traurig war die Bilanz, dass die Passanten in der Öffentlichkeit auf die Vorfälle überwiegend ignorant reagierten. Deutlicher konnte deshalb der Aufruf nicht ausfallen: Seid nicht gleichgültig!

Mit dem Christkönigsgottesdienst, an dem im Evangelium die gleiche Botschaft "Seid wachsam" verkündet wird, und mit einer Fete klang der Tag.

Von Nikola Deschauer

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