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Die Freiheit der leeren Akkuzelle

Bruder Wolfgang über ostdeutsche Jugendliche, die sich heutzutage für Taizé interessieren

Leipzig. Mehr als 40 000 Jugendliche wollen zum Jahreswechsel in Brüssel am 31. Europäischen Jugendtreffen der Gemeinschaft von Taizé teilnehmen. Bruder Wolfgang hat im Vorfeld dieses Treffens eine Reihe ostdeutscher Städte besucht.

Bruder Wolfgang

Taizé ist auch nach dem Tod von Frére Roger Schutz ein Pilgerziel für Jugendliche geblieben. Wie sieht es in Ostdeutschland mit dem Interesse an Ihrer Gemeinschaft aus?

Es gibt eine Reihe von Orten, aus denen immer wieder Jugendliche nach Taizé kommen. Daneben gibt es naturgemäß aber auch einiges Kommen und Gehen. In diesem Jahr war beispielsweise die Junge Gemeinde Wittenberg erstmals bei uns. In Wittenberg fand daraufhin am 30. November eine ökumenische Nacht der Lichter statt. Wir wollen ja bewusst keine Standbeine außerhalb von Taizé errichten, wir wollen niemanden an uns binden und pflegen keine eigene Spiritualität. Stattdessen möchten wir Menschen in Kontakt miteinander und mit Gott bringen. Immer wieder erleben wir, dass daraus viel Neues, Überraschendes wächst. Wenn katholische und evangelische Jugendliche bei einer "Nacht der Lichter" zusammen beten, bereitet das den Boden für manches, was nicht entstehen könnte, wenn jede Jugendgruppe für sich in ihrer Kirche bliebe. Wir wollen dann aber nicht, dass die Jugendlichen Taizé-Clubs gründen. Wir ermutigen sie, sich vor Ort zu engagieren, in ihren Gemeinden, in der Ökumene, in der Gesellschaft.

Bekommen Sie Rückmeldung, ob Jugendliche in unserer Region diese Anliegen aufgreifen?

Ich bin im Kontakt mit den Jugendlichen oft erstaunt darüber, welches große Gespür für diese Anliegen bereits vorhanden ist. Beispielsweise habe ich einen Workshop angeboten mit dem Titel "Quer durch die Schichten der Gesellschaft leben". Eine evangelische Theologiestudentin aus Halle erzählte zum Beispiel, dass sie regelmäßig nach Halle-Neustadt fährt, um dort mit Kindern zu spielen. Sie könne sich nicht vorstellen, später einmal einen Beruf in der Kirche auszuüben, ohne solche Kontakte zu pflegen. Im Gespräch mit jungen Menschen kommt man schnell auf derartige Themen. Es interessiert sie beileibe nicht nur, wie man möglichst fromm sein kann.

"Die Jugend" befindet sich in kontinuierlichem Wandel. Wandelt sich auch Taizé?

Wir stehen für Kontinuität, zugleich aber auch für Veränderung. Stille beispielsweise konnte man in Taizé schon immer finden. Für Jugendliche heute ist sie aber eine noch viel größere Offenbarung. Nach einer Woche sind die Akkuzellen in der Regel leer, und da wir keine Steckdosen haben, kann man sie bei uns auch nicht aufladen. Jugendliche entdecken dann plötzlich eine neue Freiheit, sie entdecken in neuer Weise die Stille und das Gebet. Verändert hat sich unter anderem, dass unser Tun heute in vielerlei Hinsicht anerkannter ist als noch vor wenigen Jahrzehnten. Sichtbar wird das unter anderem daran, dass immer mehr Schulen bei uns Projekttage durchführen, längst nicht nur christlich orientierte Schulen. Die Teilnahme ist für den einzelnen Schüler freiwillig, aber das Angebot wird angenommen, vom Gymnasium bis zur Hauptschule. Seitdem Frére Roger vor einigen Jahren den UNESCO-Preis für Friedenserziehung erhalten sind, werden wir gefragt, wenn es etwa darum geht, wie sich das Klima an Schulen verbessern lässt, wie es gelingen kann, dass Schulen nicht nur Anstalten zur Bildungsvermittlung bleiben. Es kommen auch nicht nur Christen zu uns, sondern beispielsweise auch Muslime. Wir haben oft erlebt, dass auf beiden Seiten nicht nur das Verständnis für die andere, sondern auch für die eigene Religion wächst. Relativ neu ist, dass Taizé als Ort für Praktika anerkannt ist. Nicht nur aus sozialen und theologischen Studiengängen kommen Studenten, die sechs Wochen bei uns verbringen, sondern selbst aus Fachrichtungen wie Politologie oder Landschaftsarchitektur. Offensichtlich macht sich eine solche Praktikumsbestätigung sogar gut im Lebenslauf. Es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass Taizé mehr ist als Spaß, Blumenpflücken und zwischendurch ein bisschen Halleluja.

Was für ein Typ ist denn "der" jugendliche Taizéfahrer von heute?

Die Jugendlichen, die zu uns kommen, vertreten wirklich eine große Vielfalt. Es kommen diejenigen, die auch zu Weltjugendtagen fahren, es kommen aber auch andere, die niemals dorthin fahren würden. Es kommen ja auch bei weitem nicht nur Jugendliche. Beispielsweise gibt es mehrere ostdeutsche Politiker unterschiedlicher Parteien und Konfessionen, die regelmäßig in Taizé sind.

Was hat sich nach dem Tod von Frère Roger in Taizé geändert?

Man könnte fast sagen, dass sich das Leben sogar noch vertieft hat. Manche dachten vorher, in Taizé hängt alles nur von Frère Roger ab. Wir dachten uns zwar immer schon, dass es anders wäre, aber jetzt erleben wir, dass das tatsächlich stimmt. Sicherlich ist das auch mit Frère Rogers Werk. Er hat uns so gestärkt und vorbereitet, dass wir nach seinem Tod fest zusammenstanden und keine Sekunde damit verloren haben, uns mit Interna zu beschäftigen. Die Substanz ist geblieben, die Treue im Gebet beispielsweise. Oder der Rückhalt durch die Kirchen, der uns die Freiheit gibt, ganz für die Jugendlichen da zu sein.

Zum nächsten Europäischen Jugendtreffen lädt die Brüdergemeinschaft von Taizé vom 29. Dezember 2008 bis 2. Januar 2009 in die belgische Hauptstadt Brüssel sein. Näheres unter www.taize.fr/de


Von Dorothee Wanzek

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