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Zeiten, die hoffentlich niemand mehr will

Edith-Stein-Schule erinnerte mit Autorin Jana Jürß an die DDR-Wirklichkeit

Erfurt. Das zehnte Herbst-Lese- Fest der Edith-Stein-Schule Erfurt hat das Leben in der DDR in den Blick genommen. Lehrer der Einrichtung erzählten von ihren persönlichen Erfahrungen und Jana Jürß las zu alten Kampfliedern neue Texte aus ihren Büchern.

Am 60. Jahrestag der Gründung der DDR deren Nationalhymne und zahlreiche Kampflieder abzuspielen, passte zweifellos zur Lebenswirklichkeit des längst vergangenen "Arbeiter- und Bauernstaates". Allerdings wollte das Herbst-Lese-Fest nicht die DDR hochleben lassen, sondern an einen Staat erinnern, "den wir hoffentlich alle nicht mehr erleben wollen", sagte die Schriftstellerin Jana Jürß.

Zunächst erinnerten sich einige Lehrer des katholischen Gymnasiums an ihr Leben, ihre Kindheit und Jugend in der DDR. Befragt und auf Video aufgezeichnet von Schülern der Klasse 8a erzählte Katharina Krusche von "Kartoffelschlachten im Kartoffelernteeinsatz". Antje Hock klagte über die permanente Ausweispflicht, da sie in Sichtweite der Grenzanlagen aufgewachsen war und nicht mal einfach Schulfreunde zu sich einladen konnte: "Freiheit ist für mich deshalb ein hohes Gut geworden", sagte die Musiklehrerin im Videobeitrag.

Sportlehrer Michael Scheuring erinnerte sich an seine Armeezeit, als er auch außerhalb der Kaserne die Uniform tragen musste: "In der Kirche musterte mich der Pfarrer von oben bis unten. Erst als ich sagte, es sei schon in Ordnung, gab er mir zögernd die Hostie in die Hand", so Scheuring. Der heutige Geschichtslehrer Frank Fritsch erzählte schließlich von seinen Erfahrungen in der katholischen Pfarrjugend und wie er in Kontakt mit der Friedensbewegung kam. Ihre Losung "Schwerter zu Pflugscharen" (Micha 4, 3) sei ihm bis heute wichtig.

Dagegen erzählte die Autorin Jana Jürß nichts aus ihrem Leben in der DDR. Und doch konnten die etwa 200 Gäste in der rappelvollen Aula der Edith-Stein-Schule etwas aus ihren fast 20 erlebten Sozialismusjahren erfahren. Denn die 1970 in Neustrelitz geborene und 1989 nach Westdeutschland geflohene Jana Jürß sprach in ihren Büchern teilweise über sich.

Eingeleitet von Hanns Eislers Nationalhymne las die Schriftstellerin abwechselnd Episoden aus ihren 2007 erschienenen Büchern "DDR - durch Menschen gelebt" und "Abschied einer Illusion" vor.

Passend zur schulischen Umgebung hatte die Lesung zeitweise den Charakter einer Geschichtsstunde, wobei die Verbindung der subjektiv empfundenen Lebenswirklichkeit mit der Schilderung von konkreten Sachverhalten in der DDR zum literarischen Konzept der Autorin gehört. Jahreszahlen, Hintergründe und Details zum Beispiel von der Staatssicherheit, der Pionierorganisation oder der Hinrichtungspraxis in der DDR zunächst durch das Fallbeil und später durch Kopfschuss von hinten - all das breitete Jana Jürß in den Texten des Buches "DDR - durch Menschen gelebt" aus.

"Ich fand das sehr interessant, was die Staatssicherheit alles gemacht hat", sagte die Schülerin Katharina Schütz nach der Lesung und kaufte sich ein Buch der Autorin. "Mich haben die Schilderungen der Lehrer sehr beeindruckt", sagte Sabine Schneider von der Elternschaft, die das Herbst-Lese- Fest organisiert hatte. "Im Schulalltag bleibt sonst wenig Zeit für eigene Erlebnisse", bedauert die aus den alten Bundesländern stammende Frau. Dabei seien es gerade die persönlichen Erfahrungen, die den jüngeren oder erst nach dem Mauerfall zugezogenen Menschen einen Eindruck von der DDR-Wirklichkeit geben können. "Dafür müssen wir das Interesse wecken", so Schneider.

Von Uwe Naumann

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