Günter Hanisch
Zum 20. Jahrestag der Maueröffnung
Propst i. R. Günter Hanisch wird am 7. November 80 Jahre alt. Seinen 60. Geburtstag feierte er in Leipzig, zwei Tage vor der Öffnung der Berliner Mauer.
Über die Rolle der Kirchen in der Friedlichen Revolution ist in letzter Zeit viel geredet worden. Wie schätzen Sie den katholischen Beitrag ein?
Je nach örtlicher Situation sehr unterschiedlich. Für Leipzig kann ich sagen, dass es eine umfassende ökumenische Gemeinsamkeit gab. Die beiden evangelischen Superintendenten der Stadt, der Pfarrer der reformierten Gemeinde und ich haben uns seit Ende September 1989 wöchentlich getroffen, um unser Vorgehen abzustimmen. Bereits am 12. Oktober haben wir in einem Gespräch beim Oberbürgermeister die Freilassung der Verhafteten gefordert. Später waren wir alle als Moderatoren an den Runden Tischen beteiligt. Wir waren uns in den wesentlichen Fragen immer einig. Alle wollten wir eine Reform der bestehenden Zustände und sahen unsere Hauptaufgabe darin, Gewalt zu verhindern. Diskussionen über Details waren vor allem charakterbedingt: Es gab unter uns vorsichtigere Naturen wie mich und etwas risikofreudigere. Als Katholiken haben wir zwar keine eigenen Akzente gesetzt, aber wir waren als Partner auf Augenhöhe beteiligt. Ähnliche Einschätzungen habe ich auch von anderen Beteiligten der damaligen Stadtökumene gehört.
Haben sich Ihre Erwartungen an die Einheit Deutschlands erfüllt?
Eine gewisse Ernüchterung hat sich bereits kurz nach der Maueröffnung eingestellt. Während der Zeit der Demonstrationen hatte es zwar Verletzte gegeben, aber keinen Toten. Die erste Tote gab es, als die DDR-Bürger nach Berlin drängten, um sich das Begrüßungsgeld abzuholen. Dort starb eine Frau, die vor einen Zug gedrängelt wurde. Dass die Gewaltlosigkeit nicht durchgehalten wurde, fand ich schlimm. Erschreckend war für mich auch eine Beobachtung, die ich schon im Dezember 1989 machte: Westdeutsche Republikaner mischten sich unter die Montagsdemonstrationen. Sie führten eine Deutschlandkarte von 1937 mit sich und eine Menge Propagandamaterial. Zu der Zeit begann sich schon abzuzeichnen, dass viele DDR-Bürger unerfüllbare Erwartungen hatten und dass Veränderungen nur mit Kompromissen möglich sind. Am Runden Tisch im Rat des Bezirkes forderten Umweltbewusste etwa, den Braunkohletagebau zu stoppen. Gewerkschaftsvertreter warnten hingegen vor der Arbeitslosigkeit ...
Wie könnten Christen heute dazu beitragen, dass es mit der Einheit weiter vorangeht?
Christen sollten immer auf der Seite derer sein, die im Schatten stehen. Was das konkret heißt, zeigt sich vor Ort. Hier in Dresden sticht zum Beispiel die Not der Obdachlosen ins Auge. Die Gemeinden engagieren sich da in den Wintermonaten schon durch die Nachtcafés. Eine Herausforderung ist auch die Verunsicherung, die viele Familien empfinden.