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Dahinter war die Welt zu Ende

Hans-Gerd Adler hält die Erinnerung an den Unrechtsstaat DDR wach

Als Christ und Eichsfelder engagiert sich Hans-Gerd Adler bis heute dafür, dass die Diktatur der SED und ihr menschenverachtendes Grenzregime nicht vergessen wird. Ein Treffen mit Hans-Gerd Adler in der Gedenkstätte Grenzlandmuseum Schifflersgrund.

Hans-Gerd Adler in der Grenzgedenkstätte Schifflersgrund im Eichsfeld.

Dort drüben an der Straße beginnt Hessen, informiert Hans-Gerd Adler die Besucher der Gedenkstätte Schifflersgrund bei einer seiner Führungen und weist auf die zirka 20 Meter Hang, die Straße und Grenzzaun voneinander trennen. Für den Eichsfelder Heinz-Josef Große aus Thalwenden war damit ein folgenschwerer Irrtum verbunden. Am 29. März 1982 versuchte er mit Hilfe eine Frontladers über den Grenzzaun zu fliehen. Doch der Hügel, den Große hinaufstürmte, bot ihm noch keine Sicherheit. Zollbeamte auf hessischer Seite mussten mit ansehen, wie Heinz-Josef Große unter den Schüssen der DDR-Grenztruppen zusammenbrach.

Dem Schicksal Heinz-Josef Großes ist - stellvertretend für andere Opfer der innerdeutschen Grenze - ein Teil der Ausstellung im Museum gewidmet. Er ist einer von 26 Menschen, die an der thüringisch- hessischen Grenze in der Zeit von 1961 bis 1989 ihr Leben lassen mussten. Insgesamt waren es an der innerdeutschen Grenze über 1000 Frauen und Männer.

Weitere Exponate belegen die gleichwohl findigen wie verzweifelten Versuche vieler, mit selbst gebauten Hilfsmitteln die Grenzanlagen zu überwinden. Doch nicht nur der Grenzzaun mitsamt seinen Selbstschussanlagen, deren originalgetreuer Nachbau ebenfalls zu sehen ist, sollte eine Flucht verhindern. In der Ausstellung findet sich auch der Text des offiziell stets dementierten "Schießbefehls", der unter der militärischen Bezeichnung Vergatterung (=Verpflichtung) die wachhabenden Grenzsoldaten der DDR darauf verpflichtete, Grenzflüchtlinge "zu vernichten".

An die Opfer in Hessen und Thüringen erinnern heute Holzstelen in der Gedenkstätte Schifflersgrund, die von Uder aus in Richtung Bad Soden-Allendorf zu erreichen ist. An den Holzstelen vorbei geht der Besucher über gelochte Betonplatten, Relikte des einstigen Grenzweges weiter in Richtung Wachturm. Unten, linker Hand des heutigen Parkplatzes, befindet sich der erhaltene Teil des Grenzzauns, der sich über knapp 1,5 Kilometer am Hang entlangstreckt.

Hans-Gerd Adler, der sich in der Grenzgedenkstätte Schifflersgrund ehrenamtlich engagiert, gehört zu der Generation, für die die Mauer niemals zu einer alten Geschichte wird. Im Oktober 1989 gehörte Adler zur Demokratischen Initiative in Heiligenstadt, die sich schon früh für die staatliche Einheit Deutschlands einsetzte. Ihm ist bis heute das Engagement für Frieden, Freiheit und Demokratie eigen und er ist misstrauisch gegenüber jenen, die mit einfachen Antworten daherkommen und die Vergangenheit beschönigen.

In einem kürzlich erschienenen Buch "Brückenköpfe" schreibt Hans-Gerd Adler: "Ich traue denen nicht, die sich nach der Umbenennung des Namens ihre Partei von SED in PDS in Linke der Verantwortung aus der Vergangenheit entziehen …. Mir fällt der Umgang schwer mit denen, welche die soziale Marktwirtschaft und den Rechtsstaat Bundesrepublik heute ebenso überzeugt verkünden, wie ehedem Sozialismus und die Politik der SED." Stattdessen richtet Hans-Gerd Adler bis heute den Blick auf die geschichtliche Wahrheit, zeigt die DDR als das auf, was sie im Innersten war, eine Diktatur, die das Volk entmündigte und in der Lethargie des sozialistischen Alltags gefangen hielt. "Ich möchte deutlich machen, dass die extremen politischen und ideologischen Strömungen uns Deutschen noch nie gut getan haben, dass eine Diktatur - ganz gleich ob von links oder von rechts - niemals der richtige Weg sein kann", berichtet Adler.

Hans-Gerd Adler erblickte im Jahr 1941 in Heiligenstadt das Licht der Welt. Schon als Heranwachsender prägte ihn eine tiefe christliche Überzeugung, die er nach außen nicht verschwieg. Ein Beispiel: Nur knapp entging er einer Einweisung in einen Jugendwerkhof, weil er zusammen mit anderen jungen Leuten im Gemeindewald Lutter ein Holzkreuz errichtet hatte. Aber auch später meinten viele Bekannte und Freunde oft: "Den Adler, den holen sie weg." Wobei es tatsächlich Anzeichen gab, dass die wiederholt geäußerte Gesellschaftskritik von Hans-Gerd Adler in der DDR nicht mehr lange ohne Folgen bleiben konnte. Adler hatte beispielsweise in den Faschingsveranstaltungen 1987/88 den Karl Marx gegeben, was auf wenig Akzeptanz staatlicher Stellen stieß.

Die innerdeutsche Zonengrenze kannte Adler seit seiner Kindheit, sie hat sein Handeln und Denken geprägt. "Wir lebten hier mit dem Sperrgebiet und dahinter war die Welt einfach zu Ende", erinnert sich Adler. Nur mit Sondergenehmigung konnte das Sperrgebiet - das bis zu fünf Kilometern der eigentlichen Grenze vorgelagert war - betreten werden, dazu kam die dauernde Präsenz von Grenztruppen und Staatssicherheit, die dauernde ideologische Einflussnahme auf die Bevölkerung, die Zwangsumsiedlung und vieles mehr. Aber auch die Erinnerung an die Teilung von 1945 bis 1961 soll nicht vergessen werden, Jahre, in denen es immer schwerer wurde, die Grenze zu passieren. All diese Erfahrungen ließen bei Hans-Gerd Adler und seinen Freunden 1989 die Kraft erwachsen, daran mitzuhelfen, die Vormachtstellung der SED zu brechen.

Bis heute setzt sich Hans-Gerd Adler für ein freies, demokratisches Deutschland ein. So ist er neben seiner Tätigkeit bei Führungen und im Vorstand des Grenzmuseums weiter bei den Friedensgebeten in Heiligenstadt aktiv, die im Oktober 1989 in seiner Heimatgemeinde St. Gerhard begannen. Beruflich gelang es Hans-Gerd Adler nach der Wiedervereinigung nur schwer, noch einmal Fuß zu fassen. Freunde sagen, dass sein Engagement im Herbst 89 und als Betriebsrat bis 1996 nicht gerade ein Vorteil bei der Stellensuche waren. Allerdings hat dies Hans-Gerd Adler nicht verbittert. Als Fazit fasst er seine schmerzlichen Erfahrungen seit 1990 - die er mit vielen ehemaligen DDR-Bürgern teilt - so zusammen: "Wenn das der Preis für die Friedliche Revolution und die unblutige Wiedervereinigung Deutschlands ist, so zahle ich diesen gern."

Von Holger Jakobi

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