Anstoß
Kreuzschmerzen
Kreuzschmerzen können furchtbar sein. Inzwischen kann ich bei diesem Thema aus eigener Erfahrung mitreden. Aber es geht mir hier gar nicht um Schmerzen, die man mit ein paar Tabletten, verschiedenen Übungen und etwas Geduld aus der Welt schaffen kann. Ich denke an die Schwierigkeiten, die es in der Europäischen Union mit öffentlichen Kreuzesdarstellungen gibt. Erst vor wenigen Wochen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass Kreuze in italienischen Klassenzimmern nichts zu suchen haben. Sie verstoßen gegen die religiöse Neutralität des Staates. In Deutschland kennen wir das Problem aus Bayern. Dort hatte es vor Jahren eine Klage gegen Kreuze in Klassenzimmern gegeben, die vom Bundesverfassungsgericht durch eine Widerspruchsregelung entschieden wurde.
Vor einigen Tagen hatten wir unsere letzte Gräbersegnung. Auf dem kleinen Friedhof stehen ein paar wunderbare alte Steinkreuze, auf denen Namen und Daten längst verblichen sind. Ein paar Tage später war ich noch einmal dort und habe über die jüngste Entscheidung aus Brüssel nachgedacht. Werden Kirchtürme und Friedhöfe in Zukunft die letzten Schutzzonen für öffentliche Kreuze sein? In dem Urteil ist davon die Rede, dass die Freiheit, keiner Religion anzugehören, besonderen Schutz brauche. Aber was ist mit der Freiheit derer, die einer Religion angehören?
In einer Erklärung zu den Grundwerten Europas spricht sich die Europäische Union für eine entschiedene weltanschauliche Neutralität aus. Keine Religion oder Weltanschauung darf, verglichen mit einer anderen, benachteiligt werden. In seinem Buch "Dienstanweisung für einen Unterteufel" meint C.S. Lewis einmal, die beste Idee des Teufels sei gewesen, die Menschen von seiner Nichtexistenz zu überzeugen. Wenn ich das Bild von Lewis aufgreife, könnte man auch sagen, die beste Idee des Teufels war es, den Menschen einzureden, es gäbe so etwas wie eine weltanschauliche Neutralität.
Wir Menschen sind in dieser Welt immer mit unseren Anschauungen und Meinungen unterwegs. Darum ist die Idee, ein Staat oder eine Staatengemeinschaft könne weltanschaulich neutral sein, absurd. Die Europäische Union besteht aus Menschen mit ihren verschiedenen Anschauungen und Meinungen. Und diese Anschauungen dürfen nicht aus dem Verkehr gezogen werden, sonst ist das Behinderung. Wenn der Europäische Gerichtshof feststellt, dass die Freiheit, keiner Religion anzugehören, besonders geschützt werden muss, ergreift er damit Partei. Und das ist alles andere als neutral. Der Teufel steckt wie immer im Detail, und das schmerzt.
Kaplan Marko Dutzschke, Cottbus