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Für Menschen in Not: Das Nachtgesicht der Kirche

Ökumenische Telefonseelsorge Oberlausitz lebt von engagierten Ehrenamtlichen

Görlitz/Bautzen. "Wir sind das Nachtgesicht der Kirche", sagt Gerald Demmler über Die Telefonseelsorge, die er in der Oberlausitz leitet. Dieser Dienst wird vor allem vom Engagement der Ehrenamtlichen getragen.

Gerald Demmler war seit Mai 1993 Leiter des

Knacken tönt in der Leitung. Plötzlich schluchzt die Stimme. "Ich rufe öfter bei Ihnen an", meint der 62-Jährige zum Mitarbeiter der Telefonseelsorge Oberlausitz. Er fühlt sich völlig allein. Nicht mehr gebraucht. Von der Gesellschaft vergessen. Für einige Minuten findet er Trost und Zuhören. Bis weit in die Nacht melden sich weitere Anrufer. Es geht um Partnerschafts,- Generations- und Erziehungskonflikte, auch um Einsamkeit, Angst- und Panikattacken, Depression, sexuellen Missbrauch und die Diagnose Krebs.

"Telefonseelsorge ist das Nachtgesicht der Kirche. Unsere Grundsätze sind strikte Anonymität, Ehrenamtlichkeit, 24-Stunden-Erreichbarkeit und unbedingtes Vertrauen", sagt Gerald Demmler, Leiter der Telefonseelsorge Oberlausitz des Diakonischen Werks im Kirchenbezirk Bautzen. Seit 13 Jahren besteht sie. Sie ging aus dem "Telefon des Vertrauens" Bautzen in Trägerschaft des Vereins offenes sozial-christliches Hilfswerk Bautzen hervor. Die Kirchenbezirke Bautzen, Kamenz, Löbau-Zittau, der Kirchenkreis Görlitz, die Dekanate Bautzen, Görlitz, Zittau sowie der Caritasverband Oberlausitz und die Diakonischen Werke Bautzen, Kamenz, Löbau- Zittau sowie die Landkreise und Kommunen der Region finanzieren die Einrichtung.

Zwei Dienstorte: Bautzen und Görlitz

Seit 1999 gilt Görlitz neben Bautzen als zweiter Dienstort. Sonst ließe sich die Telefonseelsorge nicht absichern. "Wir brauchen rund 85 Ehrenamtliche", sagt Gerald Demmler. "Kirchenzugehörigkeit ist nicht gefordert. Wir legen jedoch Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter den Glauben nicht ablehnen." Etwa die Hälfte sind evangelisch, ein Viertel katholisch, ein Viertel konfessionslos. Viele sehen die Telefonseelsorge als Chance für neues soziales Engagement. "Zum Beispiel Christen, die sonst eher selten in die Kirche gehen und oft am Rand der Gemeinde stehen", sagt der Leiter. "Eben durch die Telefonseelsorge finden sie wieder Zugang zum tieferen Glauben und zu ihrer Gemeinde." Manch Konfessionsloser wiederum lässt sich später taufen und tritt in die Kirche ein.

Sorgfältige Anleitung geht der Mitarbeit voraus. Intensiv - von Januar bis November - erfolgt die Schulung. Sie umfasst 150 bis 170 Ausbildungsstunden. Hier geht es um Selbsterfahrung, um Entwicklungspsychologie, um einfühlsame Gesprächsführung, auch um den Umgang mit psychischen Störungen. "Telefonseelsorge ist kein Therapieangebot. Sie kann nur begleiten, zuhören, vermitteln", betont Gerald Demmler. "Häufig liegt die Lösung in den Betroffenen selbst."

Wer sich für eine Mitarbeit entscheidet, bleibt oft mehrere Jahre dabei. Er legt sich verbindlich fest. Längst nicht nur Kräfte aus sozialen, kirchlichen, pädagogischen Berufen wie Lehrer, Krankenschwestern, Erzieher und Küster engagieren sich. Auch Handwerker, Lokführer, Bibliothekare sind dabei. "Aus Worten können Wege werden", dankt der evangelische Landesbischof Jochen Bohl in der Broschüre "Zehn Jahre Telefonseelsorge Oberlausitz" den Ehrenamtlichen. "Durch Zuhören und miteinander Reden eröffnen sich ganz neue Aussichten für Menschen, die zunächst nicht mehr weiter wissen." Telefonseelsorge, so der Bischof, sei wertvoller Ausdruck christlicher Nächstenliebe.

Seit dem Aufbau der Telefonseelsorge vor inzwischen 13 Jahren erfährt sie hohe Akzeptanz. Die Träger, so Gerald Demmler, wollen auch künftig zu ihrer Verantwortung stehen und die Finanzierung sichern. Hohen Respekt zollt er seinen Mitarbeitern. Denn auch Heiligabend, Silvester oder im Hochsommer zur Ferienzeit sind sie im Einsatz.

Gedanken-Karussell vor dem ersten Gespräch

"Was fühlst du? Was willst du? Was bist du bereit zu tun? Wird es mir gelingen, dem Anrufer gerecht zu werden und seine Gefühle wahrzunehmen?", schrieb eine Mitarbeiterin über ihr Gedanken- Karussell vor dem ersten Gespräch. 48 Minuten dauerte es. Eine Anruferin erzählte von ihrer seelischen Not. Ihr Vater brauchte Hilfe. Geschwisterkonflikte, Geldfragen, schwindende Kraft und angestaute Wut traten auf. Die Anruferin redete frei von der Seele weg. Manches klärte sich. Erleichtert bedankte sie sich am Ende des Gesprächs. Erleichterung spürte auch die Mitarbeiterin. Ihr stiller Dank ging nach oben.

Telefonseelsorge Oberlausitz: 0 800/111 0 111 oder 0 800/111 0 222.
Weitere Informationen im Internet unter www.diakonie-bautzen.de

Von Andreas Kirschke

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