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Anstoß

Die Freude am Menschlichen

Gedanken zum Weihnachtsfest

Pater Bernhard Kohl

Weihnachten, die Geburt Jesu, ist eher ein Randthema. Wenigstens in der Theologie, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Glauben scheint das so zu sein. Theologen denken - wenn man sich die Anzahl der Bücher und Texte ansieht, lieber über Ostern nach. Man könnte sagen: Die Theologie ist ein wenig geburtsblind.

Das ist recht verwunderlich, da es ja in der Praxis der Kirchgemeinden ganz anders zu sein scheint: Selbst für Menschen, die sich das Jahr über nur selten einer Kirche nähern, gehört der Kirchbesuch am Heiligen Abend dazu, was man von den Osternachtsfeiern nicht behaupten kann. Und dennoch müssen wir uns an die eigene Nase fassen: Auch das, was wir in den Gemeinden an Weihnachten feiern, hat mit Geburt wenig zu tun. Das reale Geborenwerden - mit Schmerzen, mit Blut, mit Schweiß und Schreien - hat in unseren Weihnachtsfeiern keinen Platz. Das spiegelt sich auch in unseren Krippendarstellungen wider: Eine vollständig bekleidete Frau kniet vor einem sauber gewaschenen, lächelnden Säugling. Von einer Geburt ist weit und breit nicht viel zu sehen.

Vielleicht kommt uns das Thema Geburt einfach zu menschlich, zu irdisch daher, vielleicht passt es nicht zu unserer Vorstellung von Weihnachtsidylle. Zum Menschsein gehört aber genau dieses Geborensein. Jeder Mensch ist durch die Geburt in die Welt gekommen und genau hier ist das Wunderbare an Weihnachten: Gott hat diesen Weg gewählt, um einer von uns zu werden. Wir können also etwas von Gott begreifen, wenn wir das Normale, das Menschliche begreifen. Gleichzeitig wird durch die Geburt Gottes alles Normale, alles Menschliche auf den Kopf gestellt. Es erhält Anteil am Göttlichen. Die ganze Schöpfung und jeder einzelne Mensch wird durch die Geburt Gottes vergöttlicht. Wir müssen Gott seitdem nicht mehr in den Sternen suchen. Er ist im Wunder des Alltäglichen geboren worden, denn Gott hat sich in einem Kind alltäglich, menschlich gemacht. Im Alltäglichen werden das Bleibende und unsere Erlösung sichtbar. Somit kann es seit der Geburt Gottes nichts an sich Schlechtes mehr in der Welt geben.

Ein weiterer Gedanke, der ganz natürlich zur Geburt gehört, sollte nicht vergessen werden: das unbeschreibliche Glück, die unbeschreibliche Freude, die Eltern bei der Geburt ihres Kindes empfinden. An dieser Freude über die Geburt seines Sohnes möchte Gott uns an Weihnachten teilhaben lassen. Ich wünsche Ihnen offene Augen, ein offenes Herz für diese Freude. Nicht nur an Weihnachten, sondern gerade im Alltäglichen und Menschlichen.

Dominikanerpater Bernhard Kohl, Leipzig

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