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Kirchbau als Verkündigung

In den ostdeutschen Bistümern wurden nach der Wende zahlreiche Kirchen gebaut, saniert oder umgestaltet

Der Kirchenbau nach der Wende hat viele Gesichter: Nischenausbruch und Kontinuität, städtebauliche Zeichensetzung und Glaubenszeugnis, architektonische Freiheit und Bewahrung. Eines ist gemeinsam: Alte und neue Kirchen sind Zeichen der Verkündigung.

Zwei Beispiele für Kirchbau im Osten Deutschlands in den letzten 20 Jahren: Die katholische Pfarrkirche St. Pius X. in Hohenstein-Ernstthal (links) und die katholische Filialkirche St. Maria, Storkow-Hubertushöhe.

"Mit der Wende und den dadurch gegebenen neuen Möglichkeiten ergab sich für den Kirchbau im Osten Deutschlands eine fantastische und segensreiche Situation", stellt Johannes Hübner fest. Der frühere Bauamtsleiter des Bistums Dresden-Meißen schaut auf 20 Jahre Kirchenbau in Ostdeutschland zurück. "In meiner Amtszeit sind 27 neue Kirchen im Sinne von Ersatz- und Ergänzungsbauten errichtet wurden", berichtet der 66-jährige Dresdner. Einfache Barackenkirchen, Gottesdiensträume in ehemaligen Gaststätten und ausgedienten Fabriken wurden baulich unter die Lupe genommen.

"Bei jeder Baumaßnahme wurde geprüft, welche Perspektiven die Gemeinde hat", hebt Johannes Hübner hervor. Es gab einen Abwägungsprozess zwischen Erhaltung und Neubau. Für Neubauten wurde eine Aufgabenstellung erarbeitet, städtebauliche Ziele, Inhalte und Qualitäten festgeschrieben. Es galt, beschränkte Architektenwettbewerbe auszuloben, den besten Entwurf zu ermitteln. Andernorts wurden Architekturbüros direkt beauftragt.

Zwei Beispiele für Kirchbau im Osten Deutschlands in den letzten 20 Jahren: Die katholische Pfarrkirche St. Pius X. in Hohenstein-Ernstthal (links) und die katholische Filialkirche St. Maria, Storkow-Hubertushöhe.



Entscheidend bei allem war das Ziel: Entstehen sollte jeweils ein zeitgemäßer, glaubwürdiger Sakralraum, der gleichzeitig nach außen sichtbar, zeichenhaft, für den heutigen Menschen lesbar ist. Kurz: Verkündigung nach innen und Verkündigung nach außen. Die öffentliche Hand habe dies in den meisten Fällen positiv unterstützt, unterstreicht Johannes Hübner. "Es gab kein Versteckspiel mehr. Wir sind als Kirche Teil der Gesellschaft, die die Gesellschaft wiederum positiv beeinflusst", bringt es der pensionierte Ordinariatsrat auf den Punkt.

53 neue Kirchen und Kapellen

Dieses neue, unverkrampfte Selbstverständnis war der Ausbruch aus der Nische. Der Kirchenbau in der ostdeutschen Diaspora fand nach Jahrzehnten politischer Gängelung, städtebaulicher Verbote, staatlicher Mangelwirtschaft seine eigene Sprache. 53 neue Kirchen und Kapellen, die seit 1990 in den ostdeutschen Diözesen gebaut wurden, geben Zeugnis von dieser neuen Haltung.

Herausragendes Beispiel ist die Pfarrkirche St. Pius X. in Hohenstein- Ernstthal, die 1993/94 errichtet wurde. "Alpha und Omega" ist das Architektur- und Verkündigungsthema. Die eingefärbten großen Betonscheiben, die den Kirchenraum umschließen erinnern an die Zeilen des Christkönig-Liedes "Christ A und O der Zeiten". Der Kölner Architekt Peter Böhm, der einer schlesischen Kirchenbaumeister-Familie entstammt, hat mit diesem Sakralbau ein klares Bekenntniszeichen gesetzt.

Die Kirche St. Maria in Storkow- Hubertushöhe, südlich von Berlin, tut dies ebenfalls. Der moderne Holzbau, der 1998 errichtet wurde, beschreibt in Grundriss und Altar einen Fisch. Das Zeichen der Diasporachristen ist Ermutigung für die kleine katholische Gemeinde. "Zelt Gottes unter den Menschen" oder einladende Rundbauten sind Verkündigungsthemen, die bei anderen Kirchneubauten umgesetzt wurden.

Doch der Schwerpunkt des Kirchenbaues in Ostdeutschland ab 1990 lag auf der Sanierung. Generalinstandsetzungen, Restaurierungen, Umgestaltungen von Altarräumen waren Hauptaufgaben von Kirchengemeinden und Baureferaten. Als Johannes Hübner 1991 sein Amt antrat, war alles im Umbruch: Zuvor hatte sich in den 1980er Jahren ein enormer Instandsetzungsstau bei kirchlichen Bauten eingestellt. Technische Ausrüstungen waren veraltet, DDR-typische Modernisierungen längst überholt. Trotz engagierter kirchlicher Baubrigaden, trotz erfindungsreicher Pfarrer, trotz manch abenteuerlicher Materialbeschaffung konnten die Defizite einer sozialistischen Planwirtschaft nicht ausgeglichen werden.

Viele Gemeinden wurden zu Baustellen

Nicht nur Kirchen und Kapellen, auch Gemeindehäuser und Pfarrheime, Jugendbildungsstätten, Pfarrhäuser, Kindergärten und Altenpflegeheime meldeten Baubedarf an. So wurden viele Gemeinden zu einer großen Baustelle: Kirchen wurden neu verputzt, Mauerwerk trocken gelegt, Dachstühle saniert und Kirchdächer neu gedeckt. Schieferdecker zeigten ihre Handwerkskunst am Kirchturm. Kreuz, Turmknauf und Wetterhahn grüßten frisch vergoldet ins Land. Kirchenmaler und Restauratoren brachten Sakralräume zum Klingen. Kirchenfenster wurden restauriert, durch Neuschöpfungen ergänzt. Glockenstühle wurden instand gesetzt, einstige Kriegsverluste durch Dutzende neue Glocken geheilt.

Johannes Hübner

Wo es organisatorisch möglich war, halfen kirchliche Baubrigaden bei vorbereitenden Maßnahmen, im Außenbereich oder bei Transporten. Viele der Helfer waren schon früher als Jugendliche oder junge Erwachsene dabei. Originalton eines Pfarrer: "Auf diese Leute kann ich mich verlassen!"

Bauvorhaben mussten finanziert werden

Darüber hinaus galt es, Finanzierungen zu realisieren. Arme Diasporagemeinden waren nicht in der Lage, die baulichen Anforderungen finanziell zu stemmen. Pfarrer schrieben "Bettelbriefe", Kirchenvorstände verkauften Grundstücke, Pfarrgemeinderäte baten Partnergemeinden im Westen um Unterstützung. Kirchenmusiker organisierten Benefizkonzerte, Ruhestandspriester überschrieben ihren Nachlass, Bischöfe warben bei Partnerdiözesen. Baufachmann Hübner: "Ohne die Unterstützung der westdeutschen Bistümer in großzügiger Art und Weise wäre das so nicht möglich gewesen." Großer Dank gelte auch dem Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken. Dort hatte man immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Diasporachristen in Ostdeutschland.

"Für mich war das Schönste die Einweihung einer neuen oder sanierten Kirche", erzählt Johannes Hübner. Wenn Gemeindemitglieder ihre neue Kirche in Besitz nehmen, die erste Eucharistie mit ihrem Bischof feiern, die selbstgebackenen Kuchen für das Gemeindefest herangetragen werden. Manchen hört man dankbar sagen: "Endlich eine richtige Kirche!" oder "Herr Pfarrer, wie schön ist doch unsre Kirche geworden".

Der Kirchenbau nach der Wende sieht sich in der Tradition der Verkündigung - jedoch mit moderner Architektursprache. "Christ A und O der Zeiten" verkündigen alte und neue Kirchen den kleiner gewordenen Gemeinden in den ostdeutschen Diözesen.

Von Thomas Backhaus

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